Datum: 06.05.2020
1) Ich habe da mal was. Einen Thread über Evangelikale und zwar aus dem „Nähkästchen“ geplaudert mit nur wenigen Quellen stattdessen mit vielen persönlichen Erfahrungen.
2) Im Mittelpunkt steht mein Erzeuger oder Vater, zu dem ich Zeit meines Lebens immer eine sehr distanzierte und auch angstbesetzte Beziehung hatte, falls das überhaupt Beziehung genannt werden kann.
3) Aufgewachsen und „erzogen“ wurde er von einem evangelikalen Ehepaar, das einer freien evangelischen Gemeinde angehörte, die, wie ich vor einigen Monaten feststellen konnte, der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD) angeschlossen ist.
4) Seine Eltern und damit meine Großeltern waren unerbittlich „fromme“ und missionierende Menschen, die ihre Kinder streng evangelikal bzw. bibeltreu erzogen.
5) In der Erziehung und im Umgang mit ihren Kindern waren sie genauso erbarmungslos wie der Gott, an den sie glaubten und den sie fürchteten.
6) Kleinste Verfehlungen waren für die Kinder auch handgreiflich erfahrbar und das war nicht etwa eine spontane Ohrfeige, was schon schlimm genug ist, sondern Prügel mit Ansage und Termin.
7) Das Thema Gewalt in der Erziehung ist für Evangelikale auch heute noch ein Thema, denn das Institut für Ethik & Werte (gehört zur EAD mit Sitz in Gießen) bietet dazu einen Diskussionstext an, der allerdings als „WischiWaschi“ bezeichnet werden kann,
8) weil die klare Positionierung fehlt. [1]
9) Wie in evangelikalen Familien üblich wurden auch die Kinder zum Gottesdienst, den sie Stunde nannten, mitgenommen. Auch an anderen Aktivitäten der Kirchengemeinde nahmen die Kinder teil, aber nicht etwa, weil sie es wollten, sondern weil es so zu sein hatte.
10) Kinder und Jugendliche von Evangelikalen werden nämlich nicht gefragt welcher Religion und welcher Strömung sie angehören wollen. Es besteht also für Kinder/Jugendliche KEINE Religionsfreiheit, vielmehr besteht subtiler oder unmittelbarer Zwang.
11) Und wenn sie alt genug sind diese Entscheidung selbständig treffen zu können oder zu korrigieren, ist es bereits zu spät oder es bedeutet einen kompletten und konsequenten Bruch, auch mit dem engsten Familienkreis.
12) Mein Erzeuger hat sein ganzes Leben lang versucht sich diesem Einfluss zu entziehen, dem der Eltern, dem der Religion/den Glaubensgrundsätzen/der evangelikalen Ideologie.
13) Er ist gescheitert. Vor wenigen Jahren, so habe ich gehört, hat er sich gemeinsam mit seiner Frau, meiner Mutter, einer freien evangelischen Kirchengemeinde angeschlossen, die zur EAD gehört. WTF!
14) Diese Geschichte hat also kein Happy-End. Auch nicht für die mittlerweile verstorbenen Großeltern, die sich Zeit ihres Lebens nur mit ihrem Glauben befassten und dem strengen Gott.
15) Sie lasen nur in der Bibel oder Traktate und selbst der Wandkalender enthielt für jeden Tag ein Zitat aus der Bibel oder ein Psalm.
16) Auch ihr Freundes- und Bekanntenkreis bestand ausschließlich aus Evangelikalen. Dementsprechend waren ihr Entsetzen und ihre Wut groß als der Vater ihnen seine zukünftige Braut vorstellte, also meine Mutter.
17) Sie war nämlich keine Evangelikale oder Mitglied einer Kirchengemeinde und sah auch nicht so aus. Alleine ihr Aussehen machte sie zum Feindbild.
18) Es gibt Fotos von ihr aus den 70igern. Auf diesen Fotos trägt sie ihre Haare lang und offen, keinen Dutt oder Zopf, wie bei evangelikalen Frauen nicht unüblich.
19) Mal trägt sie einen Mini-Rock dazu ein Oberteil, mal eine Bluse und Hotpants oder Flatterkleider, wie es damals Mode war, und ihre Nägel sind lackiert. Dazu eine Sonnenbrille mit großen Gläsern. Die Fotos sind farbenfroh und lebensbejahend.
20) Auch Jahrzehnte später ist das Frauenbild von Evangelikalen farblos, trostlos und misogyn.
21) Wer sich das nicht vorstellen kann, werfe einen Blick auf die christliche Frauenzeitschrift Lydia, herausgegeben vom Verlag Lydia, verbreitet vom Verlag Gerth Medien, der zur SCM-Verlagsgruppe gehört, also mit der EAD verbunden ist.
22) Für die „christliche sittsame“ Frau ist Make-up, Nagellack, Glitzer oder modische Kleidung … nach wie vor sowas wie ein Tabu.
23) Für Evangelikale/Bibeltreue gibt es auch keine fröhlichen Farben, kein ausgelassenes Magenta, kein lebensbejahendes Grün oder gar ein flammendes Rot.
Denn es geht um Sittsamkeit und
24) darum eine Botschaft zu senden. Hier ein Textauszug von 2019 (7.6.2019 Das Wort der Wahrheit) [2]
25) Evangelikale sind auch Sexualfeindlich. Je nach Strömung geht das so weit, dass Sex in der Ehe nur dann akzeptiert wird, wenn es der Fortpflanzung dient.
26) Wer in einer solchen Familie, einem solchen Klima, groß wird, kann KEINEN natürlichen Zugang zum eigenen Körper entwickeln, geschweige denn zur eigenen Sexualität.
27) Die Großeltern, also meine, hatten mehrere Kinder. Einem ihrer Söhne banden sie als dieser in die Pubertät kam die Hände am Bettpfosten fest, damit dieser nicht masturbiert. Denn nur das kann dahinterstecken.
28) Das Institut für Ethik & Werte verlinkt auf seiner Webseite auf eine wissenschaftliche Hausarbeit aus dem Jahr 2002 zum Thema Masturbation, die 199 Seiten umfasst und die im Fachbereich Praktische Theologie an der FTA Gießen vorgelegt wurde. [3]
29) In dieser gibt es Ausführungen zum Pro und zum Contra Masturbation, gefolgt von einem Fazit und dann geht es erst richtig los: Suchtgefahr, Realitätsflucht, ausgeprägte Körperbezogenheit, Ichbezogenheit …
30) Es gibt deshalb auch evangelikale Gruppen, die auffordern sich davon fernzuhalten sprich: es nicht zu tun. Beispiel NoFap. [4]
31) Homosexualität ist für Evangelikale Sünde. Je nach Ausprägung geht es sogar so weit, dass schon die Akzeptanz von Homosexualität und übrigens auch Transgeschlechtlichkeit als Sünde erachtet wird. (Quelle: Nashville Erklärung 2017). [5]
32) In diesem Zusammenhang fällt mir ein Vorfall aus meiner Kindheit ein, den ich damals nicht ein- oder zuordnen konnte. Mein Erzeuger oder der Vater war Teilnehmer einer beruflichen Fortbildung und war unter der Woche abwesend.
33) Sein Zimmer in der Fortbildungsstätte musste er in dieser Zeit mit einem anderen teilen und das war ein schwuler Mann.
34) Ich erinnere mich wieder wie die Mutter die Eingriffe seiner Pyjamahosen zunähen musste; so groß war vermutlich seine Angst vor diesem oder seine Abneigung gegen diesen homosexuellen Mann.
35) Ein letztes Beispiel ist die Misogynie von Evangelikalen und auch die des Vaters.
36) In der „Erziehung“ und im Umgang mit seinen Kindern machte er deutliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen.
37) Hier muss ich einfügen, dass die Welt oder Ideologie von Evangelikalen nur 2 Geschlechter kennt und die müssen cis-geschlechtlich und heterosexuell sein.
38) Er kannte also nur Jungen und Mädchen bzw. Männer und Frauen und die haben ihre festen Aufgaben und Funktionen. Das ist bei Evangelikalen und christlichen Fundamentalist*innen heute noch so.
39) Als Beispiel ein Zitat von Hartmut Steeb in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der EAD aus dem Jahr 2016: [6]
40) Obwohl ich nicht dem klassischen Mädchenbild entsprach, war für den Vater immer klar, dass ich später heiraten und eine eigene Familie gründen würde, eine mit eigenen Kindern.
41) Aus diesem Grund erschien es ihm unnötig, dass ich als Mädchen das Abitur anstrebte und danach noch studieren wollte.
42) Ich setzte mich aber mit der Unterstützung meiner Mutter durch und das nicht nur weil ich zielstrebig und dickköpfig war, sondern weil mir nur dieses eine Leben zur Verfügung steht und ich dieses sinnvoll ausfüllen wollte.
43) Evangelikale oder christliche Fundamentalist*innen sind allerdings davon überzeugt, dass es ein weiteres Leben gibt. Eines nach dem Tod, eines das ewig währt (Hölle versus Himmel).
44) Von ihrem Glauben eines ewig währenden Lebens beseelt und der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt, gehen sie sorglos und verächtlich mit dem Leben, der Gesundheit und der Psyche von Menschen um und gefährden diese dadurch.
45) Da der Thread schon so weit fortgeschritten ist, will ich es bei diesen Beispielen belassen und noch einmal vor Evangelikalen und christlichen Fundamentalist*innen warnen.
46) Sie zwingen nämlich nicht nur ihren Kindern eine Religion, einen Glauben, ein Weltbild bzw. eine Ideologie auf, sie missionieren auch, wo immer sie gehen und stehen.
47) Hier ein Auszug als screenshot aus dem Jahr 2018: „Evangelische Allianz: Nein zum Verzicht auf Mission“. [7]
48) Mit ihrem Druck zerbrechen sie die Psychen von Kindern und Jugendlichen, ganz besonders die von trans-Kindern/-Jugendlichen/-Erwachsenen und von queeren Menschen, auch hier sind besonders Kinder und Jugendliche betroffen.
49) In ihrem bibeltreuen Welt- und Menschenbild, ihrer Ideologie, steckt so viel Zwang, Hass und Ausgrenzung, dass ich an dieser Stelle noch einmal eindringlich vor ihnen warnen möchte.
50) Beschäftigt Euch mit ihnen, analysiert ihre Texte, lernt ihre Codes zu dechiffrieren und setzt Euch ihnen zur Wehr! Damit so viel Menschenhass und -verachtung sich nicht weiter ungehindert ausbreiten kann.
51) Außerdem sind sie stets auch „konservativ“, also protofaschistisch, und stellen damit für emanzipatorisch-kritische Entwicklungen und Diversität in der Gesellschaft eine Gefahr dar, sprich: sie stehen ihnen entgegen.