Traumatisierung und Flucht

Ende 2023 waren weltweit insgesamt rund 118 Millionen Menschen auf der Flucht. [1] Die Fluchtursachen sind: Krieg und Gewalt, politische Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen, Hunger, Klima und Umwelt. [2]

Mehr als 70 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland kommen aus Kriegs- und Krisengebieten, laut Angaben des BAMF. [3]

47 Millionen aller Geflüchteten sind Kinder. [4]

Während also immer mehr Menschen flüchten MÜSSEN, denn kein Mensch flüchtet freiwillig, erstarken hierzulande die Stimmen, die die Menschen, die endlich in Deutschland angekommen sind, wegschicken, abschieben oder deportieren wollen. Notfalls mit Gewalt.

Und es sind nicht nur die Stimmen von Neofaschist*innen aus den Reihen der AfD, der Identitären Bewegung, sondern auch aus anderen Parteien.

Auch aus Parteien, die nicht genuin rechts sind. Debattiert werden auch die Leistungen für Asylbewerber*innen zu kürzen und das Asylrecht noch weiter einzuschränken und damit faktisch abzuschaffen.

Die Bezahlkarte ist nur ein Baustein von vielen Maßnahmen, die geflüchtete Menschen, die Schutz benötigen, abschrecken sollen. Dabei sind „Vertreibung, Verfolgung, Folter und Vergewaltigung traumatische Erlebnisse, die tiefe Spuren hinterlassen.“ [5]

Amnesty International konstatiert: „Traumatisierte Geflüchtete werden in Deutschland kaum psychotherapeutisch behandelt, eine umfassende Reform der Versorgung ist nötig.“ [6] und Pro Asyl berichtete im Juli 2023 unter der Überschrift: „Mehr Traumata bei Geflüchteten, weniger Geld für psychosoziale Hilfsstrukturen“. [7]

Und weiter: „Die Zahlen im psychosozialen Versorgungsbericht 2023 der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.) zeigen, dass 87 Prozent der geflüchteten Menschen in Deutschland traumatische Ereignisse erlebt haben und etwa 30 Prozent unter Trauma-Folgestörungen leiden. Zudem haben Geflüchtete oft weitere Risikofaktoren, psychisch zu erkranken: Zum Beispiel Mangel an sozialer Unterstützung, prekäre Wohnverhältnisse, Verlust von Ressourcen, massive Unsicherheit.[8]

Das alles ist nichts Neues. Bereits 2018 ergab eine AOK-Studie, dass Drei von Vier Kriegsflüchtlingen traumatisiert sind und jede*r Fünfte gefoltert wurde. [9]

Bei mehr als der Hälfte der Kinder und Jugendliche mit Fluchtbiografie liegen psychologische Belastungssymptome vor und 40 % der Kinder sind durch die Gewalterfahrungen u. a. in der Schule, aber auch in zwischenmenschlichen Interaktionen deutlich eingeschränkt (Gavranidou et al., 2008).“ [10]

Ja, richtig gelesen. Diese notleidenden Menschen werden zusätzlich zu ihren Traumata, zu ihrer psychischen Instabilität abgeschreckt und gegängelt und als ob das noch nicht genug ist, träumen Teile der Gesellschaft von der Deportation, die sie euphemistisch „Remigration“ nennen.

Mitglieder der AfD wünschen sich „Quarantäne“, also Lager, für psychisch erkrankte geflüchtete Menschen und Gauck fordert eine eine strenge Einwanderungspolitik, denn diese sei verantwortlich für den Erfolg der AfD. [11]

Und in der Zwischenzeit will der FDP-Generalsekretär das Bürgergeld für neue ukrainische Flüchtlinge stoppen. [12]

Statt psychische Stabilität erlangen zu können, Hilfsangebote zu erhalten und in aller Ruhe hier ankommen zu können, werden die neuen Mitbürger*innen und auch deren Kinder,  die gleichfalls von Traumata betroffen sein können, zum Spielball von Rassismus und Gesellschaft, die immer weiter nach rechts kippt.

Den neuen Mitbürger*innen drohen allerdings weitere Gefahren, die ihre Erholung und Genesung verhindern können. So betreiben die Freunde der Erziehungskunst Rudolf SteinerNotfallpädagogik“, die sich an „psycho-traumatisierte Kinder und Jugendliche in Kriegs- und Katastrophengebieten“ wendet. [13]

Das Institut christlich orientierte Traumabegleitung, gefördert vom BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), [14] verbindet „die Erkenntnisse der modernen Traumatherapie mit den Ressourcen des christlichen Glaubens“.

So dass hier die Gefahr besteht, dass traumatisierte geflüchtete Menschen, mit Anthroposophie oder/und christlichem Fundamentalismus konfrontiert werden und hier unter Druck geraten oder die „falsche“ Hilfe erlangen.

Wenn also rassistische Lehrkräfte, wie z.B. Ingrid FreimuthLehrer über dem Limit – Warum die Integration scheitert“, in ihrem Buch behauptet die Integration von geflüchteten Kindern sei gescheitert, dann ignoriert sie – absichtlich oder unabsichtlich-, dass eine Voraussetzung zur Eingliederung in das Schulsystem und die Gesellschaft eine gesunde bzw. stabile Psyche ist.

Denn ein Traumata einhergehend mit Schlafstörungen, Ängsten, wiederkehrende Flash-Backs und oder auch Depressionen … verhindern ein Ankommen in dieser Gesellschaft und gewisse Anpassungsleistungen.

Erschwerend kommt hinzu Schüler*innen mit Migrations- oder Fluchthintergrund werden im deutschen Bildungssystem benachteiligt und prägen den Bildungserfolg oder -mißerfolg. [15]

2018 schrieb der Focus: „Die strukturelle Integration ist gescheitert. Auf allen Gebieten der Integration weisen Muslime leider Defizite auf“ und veröffentlichte einen Artikel von Hamed Abdel-Samad, Autor des Buches „Integration. Ein Protokoll des Scheiterns“.

„Die strukturelle Integration ist gescheitert Auf allen Gebieten der Integration weisen Muslime leider Defizite auf. Die strukturelle Integration ist gescheitert. 43 Prozent aller Arbeitslosen in Deutschland haben Migrationshintergrund. Fast 53 Prozent aller Sozialhilfeempfänger ebenso. Ähnlich ist die situation in Frankreich, Belgien, Dänemark und Schweden.“

[16]

Abdel-Samad gab bereits 2016 der „neu“rechten Wochenzeitung Junge Freiheit ein Interview, war 2017 Referent für die Junge Alternative NRW, der Nachwuchsorganisation der AfD und war zwei Jahre später, also 2019, Teilnehmer einer Diskussionsveranstaltung mit Thilo Sarrazin in Dresden und gehörte 2020 zu den Erstunterzeichner*innen des rechten Appells für freie Debattenräume.

In diesem Kontext müssen seine antimuslimischen und islamfeindlichen Äußerungen betrachtet werden. Doch er gibt Wasser auf die Mühlen von extremen Rechten, Rechten und Rassist*innen.

Und wieder einmal wird übersehen und/ignoriert in welchem Zustand geflüchtete Menschen Europa/Deutschland überhaupt erreichen. So wird die „Perspektive geflüchteter Frauen nicht beachtet“.

Und weiter: „Die Perspektive flüchtender Frauen und Mädchen und ihre besondere Gefährdungssituation vor, während und nach der Flucht finden kaum Eingang in die Debatten. Nur selten sind ernsthafte Anstrengungen bemerkbar, ihre Lage verbessern zu wollen.“ [17]

[18]

[19]

Im Februar 2024 berichtete medico mondiale: „46 Prozent der Frauen und Mädchen, die auf der Flucht sind, erleben sexualisierte Gewalt, so eine Studie der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2022.“ [20]

Bereits 2016 erschien in der TAZ ein Artikel mit der Forderung „Oft haben Frauen auf der Flucht Gewalt und sexuelle Übergriffe erfahren. Sie brauchen geschützte Räume – gerade in Notunterkünften.“ [21]

Wer also nur mit dem rassistischen Finger auf Geflüchtete zeigt, die sich hier schlecht bis gar nicht zurechtfinden, auffällig werden oder Straftaten begehen (Pfui!)

Foto von der Schlagzeile von Bild: „Die Asyl-Akte des Solingen-Mörders“.

sollte sich A) bewusst machen, dass in diesem rassistischen Fall von einer Person auf eine gesamte Bevölkerungsgruppe geschlossen wird,

sollte sich B) bewusst machen, dass eine solche Botschaft, wie die in der Bild, verantwortlich ist für weitere Angriffe auf geflüchtete Menschen und

sollte sich C) schämen, denn die Menschlichkeit gebietet, abgesehen von Attentäter*innen des IS, der Hamas, der Taliban, also terroristischen Gruppieren, dass Deutschland geflüchteten Menschen nicht nur einen Schlafplatz schuldet und Geld, sondern darüber hinaus auch eine psychologische Betreuung.

Denn wer es bis nach Europa geschafft hat, die Pushbacks von Frontex überlebt hat oder ein sinkendes Schlauchboot, hat lebensbedrohliche Erfahrungen gemacht und vermutlich ein Trauma erlitten.

Wer das nicht berücksichtigt, ist entweder rassistisch oder menschlich einfach nur schäbig. Punkt.