Thread zum „Wir“ in Zusammenhang mit Covid19

Datum: 23.04.2020

Als Textversion ohne Grafik, stattdessen mit Quellenangaben

1) Einige Gedanken zum „Wir“ im Zusammenhang mit Covid19.

2) „Wir gegen Corona“ ist die Webseite einer Initiative, die für Nachbarschaftshilfe wirbt und die Hilfesuchende und freiwillige Helfer:innen zusammenbringt. „Wir“ sind alle Nachbarn lasst „uns“ helfen!

Quelle: https://www.wirgegencorona.com/

3) „Wir Bleiben Zuhause“ ist auf der Webseite der Grünen zu lesen. Da ist die Rede von „unserer Gesellschaft“, „unserem“ Gesundheitssystem, „“Wir“ müssen die weitere Zunahme an Infektionen verlangsamen … Gemeinsam gegen Corona“.

4) Auffällig im letzten Abschnitt des Textes noch mehr „Wir“ und noch mehr „uns“.
Doch immer, wenn es um „Wir“ und um „Uns“ geht, gibt es auch die, die nicht „Wir“ sind und die, die nicht zu „uns“ gehören.

5) Auch bei den Grünen werden ausschließlich weiße Menschen abgebildet.
Null person of colour. Null BIPoC.

Quelle: https://www.gruene-bw.de/gemeinsam-gegen-corona-wir-bleiben-zuhause/

6) Auf der Webseite der Bundesregierung ist auch das „Wir“ zu finden und zwei weiße Menschen. Eine Erwachsene, ein kleines Kinder. Wieder Null person of colour. Wieder Null BIPoC.

Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/leichte-sprache/informationen-zum-corona-virus

7) Auch unter „Informationen zum Corona-Virus“ ausschließlich weiße Menschen.

8) Und weil es mal wieder um „unser Land“ geht. Ist es nicht nur ein weißes „Wir“, sondern auch ein Nationalistisches.

9) Und es ist auch eines in gehobenem Ambiente. Das zeigt schon die abgebildete Einrichtung. Es ist ein Bild, das Klassismus produziert. Im vorangegangenen Screenshot oben rechts.

10) Es ist auch ein „Wir“, das den Familiensinn beschwört. Die klassische Familie bestehend aus Mutter, Vater, Kindern, die entweder über eine Terasse verfügen oder einen sehr ansprechenden Balkon ihr Eigen nennen kann.

Quelle: https://www.zusammengegencorona.de/informieren/

11) Am Besten bringt es die CDU auf den Punkt: „Wir alle kämpfen gegen Corona. Jeder für sich, aber alle zusammen!“ (1)

12) Wenn also in TV-Werbungen das „Wir gegen Corona“, das „Gemeinsame“, das „Wir“ beschworen werden, dann gibt es auch die, die nicht dazu gehören und die, über die nicht oder nur sehr selten gesprochen werden.

13) Über die Gefangenen und deren unzumutbare Haftbedingungen. Der Mangel an Hygiene, das Fehlen von Seife und Desinfektionsmitteln sind nur ein Aspekt. In Haftanstalten kann sich keine:r vor dem Virus schützen, keinen Familienbesuch erhalten

14) und es gibt keine Möglichkeiten sich zurückziehen zu können. (2)

15) Die Gefangenen können also nicht mit „Wir“ gemeint sein. Denn sonst wären längst Gegenmaßnahmen getroffen worden.

16) Über die Geflüchteten und deren menschenunwürdige Unterbringungen in Lagern, wo es an Seife, an Desinfektionsmitteln fehlt, wo Mindestabstände nicht möglich sind, weil viel zu viele Menschen auf zu engem Raum untergebracht sind. Wo das Essen schlecht ist und zu wenig.

17) Wo traumatisierte geflüchtete Menschen, darunter Kinder, Alte und Schwangere auf engstem Raum eingepfercht werden. (3)

18) Die Geflüchteten sind also auch nicht mit „Wir“ gemeint. Denn sonst wären längst Gegenmaßnahmen getroffen worden.

19) Die Geflüchteten auf den griechischen Inseln sind auch nicht gemeint. Denn sonst wären mehr als nur 50 Kinder/Jugendliche in Deutschland aufgenommen worden.

20) Die Erntehelfer, die, die zum Beispiel den Spargel stechen, und die nach Deutschland gekarrt worden sind und für deren Rückreise kein Arbeitgeber Sorge tragen muss, die können auch nicht mit dem „Wir“ gemeint sein.

21) Die Obdachlosen sind auch nicht „Wir“. Denn wäre dem so, wären längst Maßnahmen zur Unterbringung in leerstehenden Hotels getroffen worden. Obdachlose fallen also auch raus.

22) Finanziell verarmte Familien oder Personen/KInder, die unter prekären Bedingungen arbeiten und/oder leben müssen, sind auch nicht mit dem „Wir“ gemeint.

23) Denn wäre dem so, gäbe es während der Corona-Pandemie mindestens ein bedingungsloses Grundeinkommen oder ein zusätzlich zur Verfügung stehendes Handgeld, um z.B. Gesichtsmasken kaufen zu können.

24) Saskia Esken (SPD) verwies in diesem Zusammenhang auf zivilgesellschaftliche Initiativen und das war dann auch schon alles.

Quelle: Fotokopie des Screenshots von: https://twitter.com/d_pesch/status/1253290870436253701/photo/1

25) Ungewollt Schwangere sind auch nicht mit dem „Wir“ gemeint. Denn wäre es so, wären Gegenmaßnahmen getroffen worden,

26) um z.B. während der Corona-Pandemie die Möglichkeit zu schaffen den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch zuhause durchführen zu können. (4)

27) Diversität fehlt auch. Queere oder Trans-Menschen gehören also offensichtlich auch nicht zum „Wir“.

28) Alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sollen zu ihrem eigenen Schutz isoliert werden. Sie sind also auch nicht mit dem „Wir“ gemeint.

29) Denn so mache:r träumt schon von längerfristiger Isolation, bezeichnet als Schutz, damit die Jungen, die Gesunden endlich wieder ein „normales“ Leben führen können.

Quelle: https://twitter.com/ARD_Presseclub/status/1251568095090683905

30) Matthias Horx vom Zukunftsinstitut schrieb in einem Artikel ohne Datum über „Unsere“ „Welt im Herbst 2020“ und meinte Post-Corona. „Wir staunen rückwärts, wieviel Humor und Mitmenschlichkeit in den Tagen des Virus tatsächlich entstanden ist“. (5)

31) Da fragt mensch sich beim Lesen doch, ob jener Zukunftsforscher bisher auf dem Aldebaran oder in Narnia gelebt haben mag.

32) Aber davon abgesehen, geht es hier auch wieder, wie so oft, um das „Wir“. Es ist ein „Wir“, dass über die Ressource Zeit und Geld verfügt und dass es sich in einem Straßencafé gemütlich machen kann, um Menschen zu beobachten.

33) Es ist ein „Wir“, dass Wein, einen Cocktail oder einen Kaffee trinkt, weil das „Wir“ es sich leisten kann. Und es ist ein weißes Wir. Denn zum Zukunftsinstitut mit Sitz in Frankfurt/Main gehören ausschließlich weiße Menschen zum Team. Null Person auf Colour. Null BIPoC.

34) Und genau dieser Personenkreis soll auch angesprochen werden. Ein weiteres Beispiel, das deutlich zeigt, dass es sich bei besagtem „Wir“ um ein Konstrukt handelt, das ausschließend (exklusiv) ist.

35) „Wir sind Deutschland, wir bleiben zuhause“, so lautet der Slogan von Eko Fresh im Aktionsfilm # WirBleibenZuhause. „Wir“ halten umso mehr zusammen ist auf dem Screenshot zu lesen.

Quelle: https://www.zusammengegencorona.de/wirbleibenzuhause/

36) Es gibt mittlerweile viele Werbeeinblendungen im TV mit mehr oder weniger Prominenten, die erklären warum sie zuhause bleiben und warum „wir“ jetzt solidarisch sein müssen und warum „wir“ gestärkt aus der Krise gehen werden.

37) Und wieder wird ein „Wir“ erzeugt, dass im realen Leben nicht existent ist.

38) Es ist ein „Wir“, dass mich dieser Tage an das „Wir“ von Pegida, an das „Wir“ in der „Leitkultur“debatte oder in der „Leidkultur“ erinnert, weil das eine „Wir“ vom anderen „Wir“ gar nicht mehr so weit entfernt ist.

39) Es ist ein „Wir“, das genau an diesem Punkt den Anschluss von Konservativen also Protofaschist:innen und Patriot:innen möglich macht. Es ist ein „Wir“, das m.M.n. sehr gefährlich ist und es ist ein „Wir“, dass so schnell nicht mehr weggehen wird.