(vom 08.11.2017)
Wir haben in diesem Blog für Appelle (Aufrufe oder Petitionen) ein Register erstellt, weil diese in ihren Auswirkungen auf den politischen Diskurs und/oder das politische Klima häufig unterschätzt werden und zu wenig Beachtung erhalten.
So hat z.B. die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass das demokratische Mittel, der Appell mit einer Liste von namentlich genannten Unterstützer*innen, eine geeignete Maßnahme für rechte oder extrem rechte Interessen sein kann, der sich zur langfristigen Kampagne aufbauen lässt und jederzeit bei Bedarf reaktiviert werden kann.
Ausgelöst durch Ereignisse auf der Frankfurter Buchmesse wurde die Petition namens Charta 2017 initiiert. Sie zeigt, wie eine Petition ohne Weiteres gegen demokratische Interessen eingesetzt werden kann und im schlimmsten Fall sogar zum Erfolg führen kann.
Anmerkung: hier Beitrag über die Bedeutung rechte Appelle am Beispiel der Appelle für die Redefreiheit (I-III) und Charta 2017 unter Berücksichtung der Frankfurter Buchmesse 2017. (Lange Fassung)
In diesem Beitrag lösen wir uns jedoch von den konkreten Beispielen, stattdessen betrachten wir ausschließlich das theoretische Konstrukt, also gewissermaßen das „Rezept samt seinen Zutaten“.
Benötigt wird ein mutmaßliches Problem, sowie ein entsprechender Text, eine Anklage oder Klageschrift, die vorgibt auf eine Ungerechtigkeit aufmerksam machen zu wollen, möglicherweise verbunden mit einer Forderung.
Dabei knüpft die Anklage an vorhandene Ängste, Zweifel, Emotionen im allgemeinen oder Ressentiments innerhalb der Bevölkerung an, während sie diese gleichzeitig nährt. Die Position innerhalb einer demokratischen Gesellschaftsordnung nicht das zugesicherte Recht, wie zum Beispiel Meinungsfreiheit, erhalten zu haben oder durch Minderheiten unterdrückt worden zu sein, also die Position eines Opfers, wird gerne eingenommen und ebenso willfährig und mit Hingabe unterstützt, mitunter sogar von politisch andersdenkenden Menschen.
Die zahlreichen Magazine, Zeitungen, Onlineportale inklusive sozialer Medien sorgen für die notwendige Aufmerksamkeit und machen gleichzeitig Stimmung gegen dieses oder jenes vermeintliche Übel. So lässt sich besonders effektvoll ein scheinbarer Angriff auf die Demokratie in Szene setzen.
Benötigt werden zusätzlich noch Menschen, die den Appell oder den Aufruf unterstützen respektive unterzeichnen. Infrage kommen alle, alle, die sich in ihren Emotionen, ihrer Skepsis, ihren Vorurteilen und/oder ihrer Weltanschauung angesprochen fühlen. Auch wenn die Anklage, der Appell, keinen Lösungsweg aufzeigt, die Angesprochenen möglicherweise nur als „Stimmvieh instrumentalisiert“ werden, so werden die Unterstützer*innen dennoch einen Gewinn für sich verbuchen können. Sie können sich bestätigt fühlen oder in ihrer Einstellung bestärkt.
So können mit der ‘richtigen‘ Formulierung auch Personen „vor den Karren gespannt werden“, die ein anderes Welt- und Menschenbild vertreten. Auch sie können dadurch einen Zugewinn verbuchen, indem sie sich in der streitbaren Rolle der Verfechter*in demokratischer Rechte erleben können und sich darin dann noch suhlen.
Eine stetig anwachsende Zahl von Unterstützer*innen, und dies mag auch ein Grund für längere Laufzeiten von Petitionen oder Appellen sein, können einen verstärkenden oder mitreißenden Effekt auch auf diejenigen ausüben, die noch nicht unterzeichnet haben oder dies aus verschiedenen Gründen nicht zu tun beabsichtigen. Auch sie erfahren Bestätigung in ihrer Besorgnis oder in ihren Urteilen, die nicht unmittelbar nach Antworten suchen oder Fakten, zuzüglich jener Personen, die sich jeglicher Konstruktivität verweigern.
Wenn ein Anliegen oder ein Aufruf nicht von einer kleinen Gruppe vorgetragen, sondern von einer Vielzahl von Unterstützer*innen vorgetragen wird, macht das einen Unterschied aus. Die Unterstützer*innen sollten im günstigsten Fall über einen akademischen Titel verfügen, ein adeliges von oder einen gesellschaftlich anerkannten Beruf, wie zum Beispiel Hochschulprofessor*in, oder einen gewissen Bekanntheitsgrad.
Das „Wir gegen Die“ oder „Die gegen Uns“ kann dynamische Prozesse zusätzlich intensivieren.
Ob und wie nachhaltig die Wirkung eines Aufrufs, einer Petition, ist oder sein kann, wird ebenso beeinflusst durch den „richtigen Zeitpunkt“, weil jeder Aufruf, jeder Appell, im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet werden muss.
Abschließend möchten wir noch auf die Wirkung von Solidarisierungseffekten nach innen und/oder außen hinweisen. So können sich innerhalb bestehender Strukturen neue Kooperationen entwickeln, personelle Verbindungen entstehen oder sich verfestigen. Appelle und Petitionen haben so in ihrer Komplexität eine durchaus strukturstiftende Funktion.
Darauf basiert die Gefährlichkeit rechter/extrem rechter/neofaschistischer Strukturen, Verbindungen oder Vernetzungen, besonders dann wenn sie unerkannt bleiben und/oder sich hinter der Maske demokratischer Ansprüche oder Forderungen verbergen.
Womit wir bei den Vernetzungen angelangt sind, die im Mittelpunkt dieses Blogs stehen. So kann ein Appell (ein Aufruf, eine Petition) auch bestehende Strukturen abbilden. Diese wollen wir zeigen.