Seit ich den Artikel („Carolin Kebekus: „Meine christlichen Werte sind was Schönes““) im evangelikalen Sprachrohr der EAD Christliches Medienmagazin Pro gelesen habe, gehen mir folgende Fragen nicht mehr aus dem Kopf:
Was bitteschön sind christliche Werte? Welche sind das konkret? Unterscheiden sich christliche Werte von Werten, die Atheist*innen vertreten, so wie ich eine bin? Sind diese Werte dann unchristlich oder atheistisch oder vielleicht sogar Gegen-Werte?
Wikipedia sagt dazu „Christliche Werte wird als Begriff von Wertvorstellungen angewendet, denen ein Bezug zum Christentum zugeschrieben werden.“ [1]
Mir persönlich gefällt der Wert „sich und anderen Menschen keinen Schaden zuzufügen“. [2] Das ist jedoch ein sog. Kernwert des Islam.
Gleichheit und Brüderlichkeit bzw. Gleichheit und Geschwisterlichkeit gefällt mir auch. Doch Gleichheit und Brüderlichkeit gehört zu den Werten des Islam.
Und was ist mit diesen Werten: „Gutes zu tun, freundlich, hilfsbereit, geduldig und selbstlos zu sein und nicht schlecht über andere zu sprechen – ja nicht einmal schlecht über sie zu denken.“ Wer jetzt annimmt, es seien christliche Werte irrt.
Denn auch das ist ein Anspruch des Islam an die Muslime. [3]
Soziale Gerechtigkeit ist ein Anspruch, der mir sehr am Herzen liegt. Doch ist er ausschließlich christlich? Nein. Denn das Streben nach Gerechtigkeit ist Teil des Judentums. [4]
Bisher fand ich nur universelle Werte. Werte, die ich als Atheistin ebenfalls vertrete.
Zurück zu meiner Frage, was sind „christliche Werte?“ Der evangelikale Evangeliums Rundfunk (ERF Medien) bleibt bei der Beantwortung sehr vage. [5] Genannt werden Nächstenliebe, Vergebung und Barmherzigkeit.
Mit Bezug auf die Bibel werden von christlichen Fundis und Evangelikalen Homosexualität verdammt und queerfeindliche Äußerungen verbreitet. Ist das etwa christlich? Transfeindlichkeit – ist das etwa christlich?
Mit Bezug auf die Bibel werden von Evangelikalen die Ehe für Alle abgelehnt, genauso wie Schwangerschaftsabbrüche. In den USA wo Schwangerschaftsabbrüche nahezu unmöglich geworden sind, sterben Schwangere wegen Komplikationen und erfahren keine Hilfe.
In diesem Land existiert noch immer die Todesstrafe. Ist das etwa christlich?
Ein Beispiel: Das streng christliche Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg e.V., Herausgeberin von Die Neue Ordnung, widmet sich laut eigenen Aussagen „auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, wie es die katholische Soziallehre herausgebildet hat“ [6] allen möglichen Themen. Allerdings gehören zu den Autoren fast ausschließlich rechte christliche Fundis oder extreme Rechte. Hier erscheinen Texte mit Überschriften wie z.B. „Rassismus als moderne Kultur-Umkehrung – Oder: Wie „Toleranz“ eine neue Gottheit aus der Taufe hob“ [7] oder „Die neue Völkerwanderung – Pflichten und Grenzen der Solidarität“, ein Text, der in 2015 beginnt. [8]
Oder dieses besondere Schmankerl „Ohne Kampf gibt es kein Christentum“ (Benedikt XVI.)“ [9]
Got Questions Ministries will mit seiner Webseite „den Herrn Jesus Christus mit dem Anbieten von biblisch fundierten, anwendbaren und fristgerechten Antworten auf geistlich bezogene Fragen durch eine Internet-Präsenz verherrlichen.“ [10]
GOT stellt die Frage: „Was sagt die Bibel über illegale Einwanderung?“ und kommt zur Erkenntnis: „Wie ist die Lösung der Bibel in Bezug auf illegale Einwanderung? Einfach…lass es; befolge die Gesetze.“ [11]
Dr. Markus Zehnder (USA) schrieb für das Gemeindenetzwerk, eine Webseite des Gemeindehilfsbunds mit Sitz in Walsrode, über „Migration in biblischer Sicht“ und kam am Ende zu folgendem Ergebnis: „Ein vertiefter Blick auf biblische Texte, die sich auf das Thema Migration beziehen, zeigt, dass sich die aktuell von breiten Kreisen der westlichen Eliten propagierte ”Willkommenskultur” biblisch zum größten Teil nicht begründen lässt.“ [12]
Der ach so fromme christliche Stephan Holthaus hielt 2015 sogar „einen Aufnahmestopp unter Umständen mit der christlichen Ethik vereinbar.“ [13]
Noch ein Zitat: „Der freikirchliche Pastor Jakob Tscharntke hat im Zusammenhang mit Asylbewerbern von „einfallenden räuberischen Horden, die unser Land ausplündern“, gesprochen. Deren Versorgung habe die Bibel nicht gemeint, wenn sie von Nächstenliebe spricht.“ [14]
Meine Frage, was christliche Werte sein könnten, wurde nicht beantwortet, denn für mich ist das christliche Schweigen über das Unrecht und die Pushbacks z.B. im Mittelmeer unverantwortlich. Deshalb bleibe ich bei meinen Werten.
Solidarität und Mitgefühl mit Menschen, die Hilfe benötigen oder Schutz.