Einige Überlegungen zum Hashtag #FürEineWeltOhneReligion

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Was ist damit gemeint?
Will ich etwa Religionen verbieten? Nein.
Will ich den Bau von Moscheen, Kirchen, Synagogen, Tempeln … verbieten? Nein.

Was will ich denn dann?
Eine andere Gesellschaft.
Eine Gesellschaft, die Religion überwunden hat.

Die Frage ob das überhaupt möglich ist, stellt sich in diesem Zusammenhang. Denn es ist doch so, dass alle Kulturen eine Religion entwickelt haben. [1]

Theolog*innen, Philosoph*innen, Soziolog*innen haben sich schon damit befasst, auch mit der Funktion von Religion und sie erkannten darin einen evolutionären Vorteil. Auch die Naturwissenschaften haben das Feld entdeckt.

„Der Soziobiologe Edward O. Wilson hielt die „Anlage für religiösen Glauben“ deshalb auch für einen wahrscheinlich „unauslöschliche[n] Teil der menschlichen Natur“.“ [2]

Der Evolutionstheologe Thomas Junker vertritt allerdings die Ansicht, dass Religion eine Art Kunst ist, „was ähnliches wie die Kunst, die aber erst in dem Augenblick entsteht, in dem wir Staatenbildung haben. (…)“ [3]

Wenn ich dem Evolutionstheologen zustimme, dann ergibt die anarchistische Forderung nach „Kein Gott, kein Staat[4] mehr als Sinn, sie liegt buchstäblich auf der Hand und ebenso auch anarchistische Zivilisationskritik.

Für Interessierte gibt es die gesammelten Schriften aus dem Buch „Schwarze Saat“ hier: https://feralfire.noblogs.org/post/2022/01/25/gesammelte-schriften-von-elany-samuel-aus-schwarze-saat/. Auch Zivilisationskritik aus einer schwarzen Perspektive!!!

Doch zunächst möchte ich Antworten auf die Frage „Welche Funktion hat Religion für den Menschen?“ zusammentragen.

= Religion beeinflusst Wertvorstellungen,
= sie erfüllt ökonomische, politische und psychologische Bedürfnisse,
= sie hilft Angst und Krisen zu bestehen,
= erfüllt aber auch gemeinschaftsbildende Funktionen.

In diesem Zusammenhang möchte ich an die christlichen Pfadfinder*innen erinnern, an den CVJM oder die Royal Rangers, die in mind. einer Region vom Jugendbüro der Stadt und der regionalen evangelischen Kirchengemeinde gezielt unterstützt werden.

Die Royal Rangers Deutschland werben z.B. mit diesem Bild. [5]
Zu sehen ist, ich zitiere, “eine gemeinschaftsbildende Funktion“ oder Situation.

Zu sehen sind 5 männliche Jugendliche in Pfadfinderkleidung, die mittels Kompass und einer Landkarte, die Gegend erkunden oder das Ziel suchen. Sie stehen dicht beeinander und lösen gerade offensichtlich gemeinsam eine Schwierigkeit oder die Suche.

Dabei sind die Royal Rangers ein internationaler Jugendverband pfingstkirchlicher Prägung, die wegen der Anbindung an die Pfingstkirche zu den „christlichen Fundamentalist*innen“ gezählt werden können, die Sex vor der Ehe ablehnen und Homosexualität. [6]

Die sich vom heiligen Geist ergriffen fühlen und denen das Sprachrohr der EAD, das christliche Medienmagazin Pro, bereits 2014 einen Artikel gewidmet hatte mit der Überschrift: „Oda Lambrecht: Auch Pfingstler sind problematisch“. [7]

Weitere Funktionen von Religion sind:
= Ein verzweifelter oder einsamer Mensch kann glauben, dass wenigstens Gott he/she/they liebt und
= eine Person, die sonst entrechtet ist, kann daran glauben vor Gott gleich zu sein mit allen anderen Menschen.

= Auch die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod, von Himmel und Hölle, kann individuell hilfreich sein und schwere Verluste oder schweres Leid, auch gesellschaftlich zugefügtes Leid, erträglich machen.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Entstehung afroamerikanischer Musik, die eng mit der Geschichte der Sklaverei und dem atlantischen Dreieckshandel, seit dem 16 Jahrhundert, verknüpft ist. [8]

Der Song „Go down Moses“ auch bekannt als „When Israel was in Egypt’s Land“ oder „Let My People Go“ wurde von Sklav*innen in Virginia gesungen, um nur ein Beispiel zu nennen. [9]

Allerdings können die umfassenden Eigenschaften von Religion auch zur Bildung religiöser Ideologien führen. [10] Das wird deutlich bei der Auseinandersetzung mit Evangelikalen und christlichen Fundis, die ihre Wertvorstellungen anderen aufzwingen wollen und nach politischem Einfluss gieren.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Buch von Annika Brockschmidt „Amerikas Gotteskrieger“.
In Deutschland gibt es durchaus vergleichbare Strukturen und Verbindungen, die in die USA führen.

Deutschland ist also diesbezüglich nicht sicher!

In den Anfängen der Menschheit mag das übernatürliche Wesen Gott/Gött*in einen Sinn gehabt haben. Wie sehr müssen sich die damaligen Menschen z.B. vor Umweltereignissen und –katastrophen gefürchtet haben, vor sintflutartigem Regen, vor Sonnen- und Mondfinsternissen, vor Dürren und Hungersnöten.

So erfanden sie Mythen, die ihnen eine Erklärung anboten für das was sie sahen und erlebten und konnten sogar neue Handlungsspielräume durch z.B. Opfergaben und rituelle Handlungen erschließen.

Auch für die Schöpfung der Welt gibt es weltweit überall Geschichten. Der kurdische Schöpfungsmythos: „Im Stadium Enzel erschuf Xweda aus sich selbst bzw. aus seinem Licht heraus eine weiße Perle (kurd. Dur), in welcher sich Sein leuchtender Thron (kurd. Textê nûrî) befand.“ [11]

Die Indigenen der Haida erzählten sich, wie das Licht entstanden ist.

Die Schöpfungsgeschichte der Aborigines macht die Regenbogenschlange Ungud für die Erschaffung von Land und Urzeitwesen verantwortlich und als die Erde noch ein öder, leerer Klumpen war, begann die Traumzeit. 

„Nach dem Schöpfungsmythos der im Nordosten Kanadas und in Grönland lebenden Inuit stürzte die Erde vor langer Zeit vom Himmel. Aus der Erde kamen später die ersten Menschenkinder.“

Doch der Mensch entdeckte die Naturwissenschaften, die Gesetze der Physik, der Chemie, der Biologie … und fand Antworten auf die gestellten Fragen. Mythen wurden überflüssig und hielten sich doch.

Evangelikale Christ*innen – und das nicht nur in den USA – sind fest davon überzeugt, dass die biblische Schöpfungsgeschichte wortwörtlich zu verstehen ist. Obwohl mit Hilfe der Wissenschaft nachgewiesen werden kann, dass die Erde älter ist als 6.000 Jahre, halten Teile von evangelikalen Christ*innen daran fest.

CreationWiki, das seit 2004 existiert und sich die Förderung einer Schöpfungswissenschaft zur Aufgabe macht, betrachtet sich als „bitter nötige Alternative“ zur „zunehmend antichristlichen Wikipedia“.“

Kreationismus ist allerdings nicht nur in der christlichen Religion vertreten, sondern weltweit und überall. Evangelische Bekenntnisschulen in Deutschland z.B. gingen auf Distanz zur Evolutionstheorie, die wissenschaftlich bewiesen worden ist. [12]

Der Verband evangelischer Bekenntnisschulen (VEBs) bekannte sich bereits 2012 zum Kreationismus und unterrichtet seit dem neue Generationen von „Gläubigen“. Diese Schulen werden zum Teil mit öffentlichen Geldern, also der Steuerzahler*innen Geld, finanziert.

So erhält der Staat Kreationismus und Bibeltreue am Leben. Warum tut er das?

Weil Religion und Glauben systemimmanent sind. Ich erinnere nur an die christliche Armenspeisung, statt Armut abzuschaffen und die von Armut betroffenen Menschen bei einer Revolte oder gar einer Revolution zu unterstützen.

Ich erinnere an die sozialen christlichen/evangelikalen Einrichtungen wie z.B. Die Arche. Sie kaschiert und vielleicht hilft sie manchen auch ein bisschen, kämpft aber nicht gegen die Ursachen, wie z.B. mangelnde Inklusion, Nachteile durch finanzielle Armut für Kinder und Jugendliche, ungerechte Bildungsvoraussetzungen und und und.

Sie kaschiert und bleibt an der Oberfläche, während sie selbstbewusst davon berichtet den betroffenen Kindern/Jugendlichen, die die Einrichtung nutzen (müssen), den lieben Gott, den lieben Herrn Jesus näher bringen zu wollen.

Sie kaschiert und nebenbei wird noch ein bisschen missioniert.

Meine Vorstellungen sind wesentlich radikaler. Sie gehen unter die Oberfläche und träumen von einer Gesellschaft ohne Armut mit gerechten Bildungsvoraussetzungen und ohne Rassismus, Sexismus, Kapitalismus … und Religion, die nicht verboten wird, aber Privatsache bleibt. Falls überhaupt wer diese dann noch nötig hat.

Und wenn diese Gesellschaft ohne Religion bei der Gelegenheit auch noch den Staat verliert, weil er sich so abschafft – ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal an Thomas Junker – ist es mir nur Recht.

Zu sehen ist ein fünfzackiger Stern mit einem großen weißen A. Dahinter ein Kreis und weißer Aufschrift auf rotem Streifen: Kein Gott Kein Staat Kein Herr Kein Sklave.

Das waren einige Überlegungen zum Hashtag #FürEineWeltOhneReligion