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Ausgerechnet am 19.02.2021, am Tag des Gedenkens des Hanau Attentats, bei dem neun Menschen aus rassistischen Motiven im Jahr zuvor ermordet worden waren, veröffentlichte die CDU ein vermeintliches „Statement“ gegen „Rechtsextremismus“.
Zitat der CDU: „Rechtsextremismus ist für die Tonne. Heute, ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, wollen wir gemeinsam zeigen, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus oberste Priorität hat. Dafür braucht es alle. Auch Dich! Mach mit & zeige Haltung.“
Zusätzlich zerknüllten in dem dazugehörigen Video eine Reihe von CDU-Politiker:innen ein Blatt Papier auf dem „Rechtsextremismus“ geschrieben war und warfen dieses Blatt mal mit mehr und mal mit weniger Schmackes in einen Papierkorb. [1]
Das „Statement“ kam von einer Partei, die maßgeblich am Abbau des Asylrechts im Allgemeinen und im Besonderen z.B. am sog. „Hau-Ab-Gesetz“ beteiligt gewesen ist.
Das „Statement“ kam von einer Partei, die ein Klima geschaffen hat, das Rassismus, Antifeminismus/Misogynie, Antisemitismus, Transfeindlichkeit, Ableismus … hat gedeihen lassen.
Das „Statement“ kam auch von einer Partei, die selbst in ihren eigenen Reihen extreme Rechte beheimatet und dabei geht es nicht nur um die WerteUnion.
Das „Statement“ kam von einer Partei, die keine Hemmungen kennt, wenn es z.B. um Abschiebungen und deren Umstände geht, in Länder zurück, in denen die Abgeschobenen keine:n kennen, nicht einmal die Sprache sprechen, oder wenn es um die Unterbringung von geflüchteten Menschen geht.
Das „Statement“ kam auch von einer Partei mit dem höchsten Anteil an ehemaligen NSDAP-Mitgliedern
Nachzulesen hier: de.wikipedia.org/wiki/Liste_ehe oder hier: tagesspiegel.de/kultur/kontinu
und noch immer paktiert die Konrad-Adenauer-Stiftung z.B. mit Hermann Lübbe, einem ehemaligen NSDAP-Mitglied.
Das ging sogar so weit, dass er Mitautor des Sammelbands von Klose/Lammert „Balanceakt für die Zukunft – Konservatismus als Haltung“ (2019) gewesen ist und im letzten Jahr am 13.02.2020 in Dresden als Referent auftreten und gedenken durfte. [3]
Das „Statement“ kam auch von einer Partei, deren Mitglieder nicht müde werden in regelmäßigen Abständen das Thema „Leitkultur“ zum Thema zu machen.
Basam Tibi hat sie erfunden, Friedrich Merz 2000 [4] aufgewärmt, Thomas de Maizière 2017, [5] Markus Söder 2018 [6] und Philipp Amthor machte sie im Februar 2020 erneut zum Thema. [7]
Dazwischen, nämlich 2016, veröffentlichten die Sächsische CDU und die CSU den „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur Gemeinsames Papier der Sächsischen Union und der CSU“ [8]
Erstellt wurde das Papier unter „sachkundiger Beratung“ von Joachim Klose, dem Leiter des Politischen Bildungsforums der Konrad-Adenauer-Stiftung Sachsen mit Eintrag im Blog, dem extrem rechten Werner J. Patzelt, der bereits zwei Einträge im Blog hat, und Arnd Uhle.
Kraftquellen der Leid(t)- und Rahmenkultur sollen Heimat, Patriotismus und Leitkultur sein, so steht es dort geschrieben.
Abgesehen davon, dass zu den Synonymen von „Patriotismus“ Nationalstolz, Vaterlandsliebe, extremer Nationalismus und übertriebenes Nationalgefühl gehören, [9] werden in Abschnitt 3 des Aufrufs der Nationalsozialismus und der Kommunismus miteinander gleichgesetzt.
Dadurch wird zum einen die Singularität des Holocaust in Frage gestellt und zum anderen wird die NS-Zeit und die industrielle Massenvernichtung von Millionen Menschen darunter Jüd:innen, Rom:nja, Sinte:zza, Homosexuelle, Behinderte … relativiert. *Pfui!*
Nachzulesen auch unter: 8. Geschichtliches Bewusstsein.
Vergessen oder ignoriert wurden auch die mind. 200 Menschen, die von Rechtsterrorist:innen und Neonazis seit 1990 in Deutschland ermordet wurden. [10] Solingen, Mölln, der NSU und die die noch folgen sollten wie z.B. Halle, Hanau und und und.
„Jüdisch-christliche Werte sind in der Tradition der Aufklärung Grundlage unseres Zusammenlebens.“
Hier fehlt nämlich der Islam, der ebenso zu Deutschland gehört und damit auch die 4,4 bis 4,7 Millionen Muslime, [11] die in Deutschland leben/geboren wurden und hier ihren Lebensmittelpunkt haben.
Auch ignoriert wird die Tatsache, dass d. Renaissance und d. Aufklärung in Deutschland oder Europa ohne d. arabischen Übersetzungen von grundlegenden Schriften d. Antike, also d. Bewahrung von antikem Wissen (Hebelgesetz, Satz des Pythagoras…), nicht möglich gewesen wären.
Nachfolgender Ausschnitt: „Natürlich braucht auch Europa solche Symbole, das das Verbindende ausdrücken, vor allem das Zusammenwirken von Antike, Christentum und Aufklärung mitsamt Europas „Einheit in Vielfalt“ ist unter Kraftquelle: Heimat und Patriotismus zu lesen.
Die Ziffer Null ist allerdings keine europäische Erfindung, sondern wurde vor über 5.000 Jahren in Mesopotamien, einer Kulturlandschaft in Vorderasien zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris, erfunden.
Zu den bedeutendsten medizinischen Fachbüchern gehörten arabische Lehrbücher. Ihre Erkenntnisse beeinflussten die Ärzte des westlichen Mittelalters. Erst im 12. Jahrhundert wurden diese ins lateinische übersetzt. Bis dahin war arabisch die Sprache der Medizin.
Antikes Wissen gelangte nach Europa, wurde später ins Lateinische übersetzt und konnte so Europa und damit Deutschland bereichern.
Aber Leid- oder Leitkultur bedeutet eben auch sich die Leistungen Anderer anzueignen und sie dann sich selbst oder dem „Volk“ oder der „Nation“ zuzuschreiben.
Auch zum Schlandlappen hat sich der Aufruf zur Leid(t)- und Rahmenkultur geäußert. Stolz auf die Nation, stolz auf die Symbole … als Voraussetzungen gemeinsamen Glücks.
Auch festgeschrieben ist im Aufruf das „Aussieben“ von Menschen, also die Einteilung in nützliche und nicht-nützliche Migrant:innen, BIPoC, … .
Zitat: „Gerechtigkeitsempfinden wird verletzt, wenn Solidarität überbeansprucht wird. (…)Deshalb brauchen wir eine Einwanderungspolitik, die sich nach Nachhaltigkeit, plausibler Gerechtigkeit und den Bedürfnissen unseres Landes bemisst.“ *WTF!*
Ein letztes Beispiel zum Thema Toleranz, die sich an „unserer bewährten Leit- und Rahmenkultur“ orientieren sein muss. Absatz 10.
Wann immer eine „Leitkulturdebatte“ gefordert wird, wird dadurch immer suggeriert diese sei dringend nötig, weil es den Deutschen und ihrer Lebensweise, was immer das sein mag, salopp formuliert an den Kragen geht.
Erst 2 Tage vor dem Attentat in Hanau, das 9 Menschen ihr Leben kostete und die Trauer und der Verlust, sowie die Verzweiflung angesichts der ungeklärten Umstände, die Hinterbliebenen und Herzensmenschen für immer begleiten wird, erschien in der Zeit ein Artikel über Amthor, der eine „Leitkulturdebatte“ forderte. Das Konzept „Multikulti“ sei gescheitert, so Amthor, der in der Vergangenheit auch durch rassistische Parolen aufgefallen ist. Parallelgesellschaften und „kriminelle Familienclans“ seien stattdessen entstanden, so der MdB.
Der nachfolgende Screenshot stammt von der Webseite der CDU, die im März 2019 unter dem Hashtag Starker Staat die Nulltoleranz gegen kriminelle Clans beschworen hat, als Symbol einer rassistischen und autoritären Politik.
Es ist eine Sprache, die Bilder erzeugt, die auch extreme Rechte forcieren.
So als seien Deutsche und Weiße mittlerweile in der Minderheit und Deutschland werde von „Ausländer:innen“ regelrecht überrannt oder übernommen, die dann hier machen was sie wollen und sich an keine Regeln halten, sprich: „kriminell“ werden.
Und diese Bilder, da bin ich mir sicher, werden absichtlich erzeugt. Denn Angst lässt sich hervorragend instrumentalisieren.
Die Angst vor dem Islam, die Angst vor „Ausländer:innen“, die Angst vor islamistischem Terror, die Angst vor Unsicherheit oder z.B. vor sog. Parallelgesellschaften … .
Da dabei auch immer das Bild mitschwingt zu einer Minderheit als Deutsche in Deutschland zu gehören oder die Gefahr besteht, dass es so kommt, werden Ängste und Unsicherheit erzeugt und nach und nach entsteht, wenn auch über einen Umweg ohne es direkt zu sagen, die Angst vor dem sog. „Bevölkerungsaustausch“, der von extremen Rechten und Neofaschist:innen permanent beschworen wird und der eine zentrale und konsensbildende Parole europäischer extremer Rechter und Neofaschist:innen darstellt. Dazu gehört auch der IB, der von der Verteidigung Europas spricht, weil dieses sonst dem Untergang geweiht sein soll. WTF!
D.h. jedes verdammte Mal wenn die „Leitkulturdebatte“ wieder aufgewärmt wird, schürt sie unbewusste, vage Ängste, die instrumentalisiert werden (können) oder lässt diese entstehen.
Und der Mythos vom „großen Austausch“ war das rassistische Motiv für das rechtsterroristische Attentat z.B. in Christchurch, dessen Attentäter sich wiederum auf den norwegischen Rechtsterroristen bezog, der 2011 77 Menschen in Oslo und auf der Insel Utøya ermordete.
Volker Beck twitterte am 22.02.2020
Zitat: „Wer von „Volkstod durch Bevölkerungsaustausch“ spricht, ist auch für die Toten von Hanau und Halle verantwortlich. Es ist Zeit für die Überwachung der gesamten AfD und es ist Zeit für das Sammeln von Beweisen für ein mögliches Verbotsverfahren.“ [13]
Und vergaß oder übersah dabei, dass auch subtile Äußerungen wie z.B. die aus den Reihen der CDU ein ganz ähnlicher Effekt erzeugt wird.
Denn mit Worten fängt es an und die sog. „Leitkulturdebatte“ im gesellschaftlichen Kontext betrachtet, öffnet eine Türe zu noch mehr Rassismus, noch mehr Patriotismus und zum Nationalstolz. Öffnet eine Türe, die hermetisch verriegelt und unzugänglich gemacht werden sollte, statt Rechtsextremismus auf ein Papier zu kritzeln, das Papier zu zerknüllen, in den Papierkorb werfen und dann weiterzumachen wie bisher. Pfui!