Ist Religion eine biologische Komponente?

Dieser Beitrag steht mit allen Screenshots und Grafiken im Archiv zur Verfügung

Am 5.11.21 berichtete das evangelikale Sprachrohr der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD) idea über ein Interview, dass der Religionswissenschaftler Michael Blume mit dem Deutschlandfunk Kultur geführt hatte.

Der idea-Artikel trug die Überschrift „Religionswissenschaftler: Gott im Gehirn erfahren“ und „Der Religionswissenschaftler Michael Blume spricht über die biologischen Grundlagen von Religiosität“.

Da der Artikel seit 11.11. nur noch per Anmeldung zur Verfügung steht, wurde dieser in Form von zwei Screenshots hinzugefügt.

Ein Foto von Michael Blume, dazu der Text: „Religionswissenschaft: Gott im Gehirn erfahren Der Religionswissenschaftler Michael Blume spricht über die biologischen Grundlagen von Religiösität.

"Stuttgart (IDEA) – Gott wird im Gehirn erfahren. Diese Ansicht vertrat der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blumme (Stuttgart), in einem Interview mit dem Hörfunkprogramm „Deutschlandfunk Kultur“. Der Religionswissenschaftler betonte in dem Gespräch, dass sich aus den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaft jedoch keine Rückschlüsse über die Existenz Gottes ableiten ließen. Die religiösen Erfahrungen von Menschen ließen sich schließlich auch immer als „nützliche Illusion“ erklären, wals „Täuschung, die sich quasi bewährt hat“. Ob es Gott gebe oder nicht, bleibe „eine Glaubensfrage, da kommen die Labore einfach nicht ran, auch in Zukunft nicht. Er unterstütze jedoch den Ansatz, besser verstehen zu lernen, „woher Spiritualität und Religiosität in unseren Gehirnen stammen“. Diese Erkenntnisse könnten vielleicht auch dazu beitragen, „dass wir wechselseitig toleranter und verständnisvoller werden und verstehen, warum das

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Bevor ich auf das Interview im Original zu sprechen komme, möchte ich näher darauf eingehen, was idea da eigentlich veröffentlicht hat. Denn wer Religion als biologische Grundlage, also biologische Komponente, definiert, versteht Menschen ohne Religion oder mittlerweile religionslos gewordene Personen als Menschen, die von der biologischen Norm abweichen oder abgewichen sind.

Das macht aus diesen Menschen wie der Verfasserin dieses Threads was?
Einen kranken Menschen, einen d. biologisch abweicht, einen Menschen, d. nicht normal ist oder von der Norm abweicht?

Wer wie die EAD in den Glaubensgrundsätzen fest davon überzeugt ist, dass der Mensch als Frau und Mann, also nur zweigeschlechtlich als Ebenbild Gottes, geschaffen worden ist und diesen die göttliche Würde zuteil wird, muss also zwangsläufig in Menschen ohne Religion und ohne „biologische Komponente“ im Körper Geschöpfe sehen, die so von Gott nicht vorgesehen waren. Das Eis auf dem idea wandelt ist hauchdünn.

Denn hier fängt etwas an, das keinen guten Verlauf nehmen kann. Die deutsche Geschichte dient als Beweis.

In dem genannten Artikel berief sich idea auf den Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württembergs Michael Blume.

Deshalb jetzt zum Interview mit dem Religionswissenschaftler, das mit der Überschrift: „Sitzt Gott im Gehirn?“ versehen wurde.

Nachzulesen ist es hier

Blume sagte in diesem Interview und bezog sich dabei auf eine neue Studie des Hirnforschers Michael Ferguson und dessen Team: „Das bedeutet, dass man jetzt einen weiteren Beleg dafür hat, dass auch Spiritualität biologische Grundlagen hat.“

Zu dieser Spiritualität zählt Blume auch die Religion bzw. Religiosität.

Im Zusammenhang liest sich das so:

Spiritualität in ältester Gehirnregion verortet Stalinski: Dann lassen Sie uns mal erklären, was genau die Forscher da herausgefunden haben und wie sie vorgegangen sind. Blume: Es ist so, dass wir sowohl Religiosität, also den Glauben an höhere Wesen, wie auch Spiritualität, also die Erfahrung in der Meditation, in verschiedenen Gehirnregionen bearbeiten. Und da wusste man schon eine ganze Menge, vordere Gehirnbereiche, hintere Gehirnbereiche. Was jetzt mit zwei Studien neu entdeckt worden ist, älteren Läsions-Analysen, wo man geguckt hat, wo liegen Schäden im Gehirn vor und wie wirkt sich das aus, ist, dass wir auch eine Region im Hirnstamm haben. Es ist also wirklich die älteste Region des Gehirns, aus der heraus es erst erwachsen ist, die direkt mit Spiritualität verbunden ist. Wenn Menschen dort Beschädigungen hatten, hat sich ihre Spiritualität merklich verändert. Je nachdem, welche Gehirnregion betroffen war, war sie verstärkt oder geschwächt. Das bedeutet, dass man jetzt einen w

Die Frage „(…) Ist das, was Ferguson und sein Team jetzt herausgefunden haben, ein Beweis dafür, dass einem religiöse Musikalität mitgegeben wird oder auch nicht?“ beantwortete Blume mit „Ja, es ist tatsächlich ein weiterer Beleg. (…)“

Stalinski: Man spricht ja in diesem Zusammenhang auch von religiöser Musikalität, ein Begriff, den Max Weber geprägt hat. Analog zur Musikalität geht man davon aus, dass manche Menschen empfänglich für religiöse Gefühle und Spiritualität sind und andere nicht. Ist das, was Ferguson und sein Team jetzt herausgefunden haben, ein Beweis dafür, dass einem religiöse Musikalität mitgegeben wird oder auch nicht? Blume: Ja, es ist tatsächlich ein weiterer Beleg. Ich hatte diesen Ansatz von Weber auch schon damals in meiner Doktorarbeit verfolgt, weil, das ist ja spannend, er war ja sowohl Religionssoziologe als auch Musiksoziologe – und er hat da eine Verbindung gesehen, auch wenn er von religiösen Virtuosen sprach zum Beispiel. Und so würde man das heute tatsächlich sehen, das ist wie bei Musikalität.

Die Konsequenz aus der Studie und den vermeintlichen Erkenntnissen, die Blume am Ende des Interviews zog, war der Wunsch oder die Aufforderung nach mehr wechselseitiger Toleranz.

Das Wesentliche aus einem längeren Textabschnitt herausgepickt: "Aber ich bin sehr dafür – wie wir es ja gerade diskutiert haben –, dass wir besser verstehen, woher Spiritualität und Religiosität in unseren Gehirnen stammen. Vielleicht trägt das auch dazu bei, dass wir wechselseitig toleranter und verständnisvoller werden und verstehen, warum das dem einen Menschen total viel bedeutet und den anderen Menschen vielleicht nur stört, dass das beides sozusagen seine Berechtigung hat in der menschlichen Vielfalt.“

Dieser Wunsch, vielleicht mehr Sehnsucht, vielleicht auch als Aufforderung zu verstehen, verkennt jedoch die Realität oder will diese ignorieren.

1. So gehört die Missionierung zum Wesenskern von christlichen Fundis und Evangelikalen, d.h. zu missionieren bis die Schwarte kracht und auch unaufgefordert Menschen den christlichen Glaube nahebringen zu wollen.
In diesem Zusammenhang sei an die aktuelle Aktion von Bibel.tv mit 20.000 Plakatwänden erinnert. [2]

2. Es gibt sogar Organisationen und Einzelpersonen, die einen Gottesstaat anstreben. Soll ich das etwa tolerieren?

3. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Misogynie, die LGBTQI-feindlichkeit von christlichen Fundis und Evangelikalen, an die Wissenschaftsfeindlichkeit, an Kreationismus … Mehr dazu hier in der 10-teiligen Reihe beginnend mit 1

Soll ich das etwa alles tolerieren und auch die daraus entstehenden/entstandenen Konsequenzen?

4. Bei bestimmten Themen, wie z.B. dem Schwangerschaftsabbruch, haben christliche Fundis längst die Deutungshoheit übernommen. Ein Beispiel, das die Sprache betrifft.

Kaum wer spricht über die Zygote, dafür fast ausschließlich über das ungeborene Kind während über dem gesamten Thema der mahnende Zeigefinger, der Paragraph 218 und die Beratungspflicht schweben.

Ich erinnere an die christlichen Fundis von „40 Tage für das Leben“, die sich „Lebensrechtler*innen“ nennen, und die nun wieder mit gerichtlicher Bestätigung ungewollt Schwangere direkt vor der Beratungsstelle von Pro Familia am Palmengarten (Frankfurt/M) belästigen dürfen.

Text: „Frankfurt am Main (IDEA) – Die christliche Lebensrechtsbewegung „40 Tage für das Leben“ darf weiter direkt vor der Beratungsstelle von Pro Familia am Palmengarten in Frankfurt am Main Mahnwachen abhalten. Örtliche und zeitliche Einschränkungen der Stadt Frankfurt sind rechtswidrig, entschied die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main in einem am 16. Dezember veröffentlichten Urteil. Die Lebensrechtsbewegung hält zweimal im Jahr – in der Passionszeit und im Herbst – jeweils 40-tägige Mahnwachen zwischen 12 und 16 Uhr ab, um mit Gebeten und Liedern auf das Unrecht der Abtreibung aufmerksam zu machen“.

Soll ich das als Person mit Uterus etwa tolerieren?

5. Nachweisbar ist die personelle Zusammenarbeit von Evangelikalen/christlichen Fundis mit z.B. „neuen“ Rechten. Es gibt sogar Organisationen, die beides sind. Zu nennen sind z.B. das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg e.V. oder das Renovatio-Institut.

Soll ich die etwa auch tolerieren?

6. Die Beobachtungen von Demonstrationen, die sich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie richten, zeigen dass von Anfang an christliche Fundis/Evangelikale Seit an Seit mit Holocaustleugner*innen, mit Reichsbürger*innen, mit Neonazis und allerlei rechtem und gewalttätigem Pack gemeinsame Sache machten. (https://www.focus.de/perspektiven/sie-glauben-sie-haetten-eine-hoehere-wahrheit-h_id_12687213.html)

Ich erinnere an Pfarrer Christian Stockmann, an das Café Mandelzweig, die Christen im Widerstand, Lothar Mack und z.B. Kreuzdenken
Ergänzende Informationen stehen u.a. hier zur Verfügung.

Screenshot von einem blauen Sweatshirt mit Känguruh-Beuteltasche und dem Aufdruck Kreuzdenken.

Soll ich die etwa auch tolerieren? Soll ich die epidemiologische Gefahr, die von solchen Leuten ausgeht etwa auch tolerieren?

So beteiligte sich z.B. der Vorsitzende des Thüringer Pfarrvereins Martin Michaelis am 5.12.21 an einer Demonstration sog. CoroNazis im thüringischen Sonnenberg und schrieb ein Pro für die Teilnahme an Corona-Protesten als Pfarrer.

Screenshot von einem Artikel von idea zum Thema Pro & Contra „Als Pfarrer an Corona-Protesten beteiligen?“

Der Text stammt von Martin Michaelis ist allerdings zu lang für eine Bildbeschreibung. Da der Text nicht mehr öffentlich zur Verfügung steht, konnte dieser leider nicht zum lesen bei archive.is abgesichert werden. Ich muss mich für die fehlende Bildbeschreibung entschuldigen.

Bild

[3]

Von Anfang an dominierten im Rahmen sog. Querdenken-Demonstrationen antisemitische Symbole und Rhetorik.

Die Tagesschau berichtete über die Verfestigung von NS-Relativierung [4] und mittendrin christliche Fundis, die sich an einem Ungeimpft im gelben Judenstern nicht störten.

Im Bild zu sehen ist ein T-Shirt-Ärmel auf dem ein Judenstern mit der Aufschrift Ungeimpft prangt.

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Soll ich das etwa auch tolerieren?

Soll ich etwa auch tolerieren, dass diese Fundis gemeinsam mit CoroNazis vor Kliniken demonstrieren, die Eingänge blockieren, lachend und tanzend, während drinnen zur selben Zeit Menschen sterben und Angehörige in großer Trauer hinterlassen?

Soll ich etwa auch tolerieren, dass das Klinikpersonal beleidigt und angepöbelt wird?

Soll ich etwa auch tolerieren, dass sich in diesen Reihen, gemeinsam mit christlichen Fundis, der Wunsch nach Bestrafung, nach Todesstrafe, Aufhängen … ausbreitet? Friede, Freiheit, Gewalt las ich jüngst bei Twitter.

Wäre es nicht sinnvoller, wenn ein Antisemitismusbeauftragter genau hier sachdienliche Aufklärungsarbeit leisten würde?

Wäre es nicht sinnvoller auf den Antisemitismus in den eigenen Reihen, z.B. auf den Antisemitismus bei Christ*innen einzugehen und auf den Antisemitismus in der bürgerlichen Mitte™, denn hier ist er auch anzutreffen?

Wäre es nicht sinnvoller Kritik anzunehmen und daraus zu lernen, statt jede*n Kritiker*in als Troll zu bezeichnen oder Verhöhnung und Neid hinter Kritik zu vermuten?

Es gäbe so viel Sinnvolles dieser Tage für einen Antisemitismus-Beauftragten zu tun. Schade, dass es diesem eher um das Verdecken desselben und das Aussitzen geht.