Überlegungen zum Anti-Genderismus

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Es erscheint merkwürdig oder befremdlich, dass Antifeministen, Maskulisten, sog. Männerrechtler, eine Gemeinsamkeit mit radikalen Feminist*innen haben. Ist aber so.

Denn es ist der Anti-Genderismus und auch Transfeindlichkeit, die das möglich machen.

Der Antifeminist und Männerrechtler Christian Schmidt, Betreiber des Blogs Alles Evolution, schrieb im August 2022 in seinem Blog unter „Rechtsanwalt Udo Vetter zum Mißbrauchspotential des Selbstbestimmungsgesetzes“ u.a. „Das halbe Land muss sich vor diesem Gesetz fürchten?[1]

Strafverteidiger haben, was Mißbrauch von Situationen angeht, berufsbedingt ein etwas düsteres Menschenbild bzw haben schon in die Abgründe einiger Seelen geschaut. Für einen Aktivisten, der intersektionalen Theorien anhängt, ist der Satz, dass da wechselseitige Interessen abzuwägen sind, allerdings relativ unverständlich, weil in seinen Theorien ja die Interessen bereits hierarchisiert sind. Da stehen die Transpersonen an erster Stelle und es ist wichtig, dass man jede Person, die angibt, dass sie das Geschlecht wechseln möchte, bedingungslos als berechtigte Transsexuelle akzeptiert. Alles andere wäre transfeindlich. Insoweit kann dann auch keine Gefahr von Transsexuellen ausgehen, diese sind ja Opfer der Umstände und müssen empowert werden und nicht als Täter gesehen werden, schon gar nicht von CIS-Frauen. Als Täter könnten Transfrauen insofern ja auch nur gesehen werden, wenn sie Männer wären, aber da sie das ja nicht sind, kann auch keine Täterstellung bestehen. Ein männlicher Penis mag eine Gefahr und eine Belästigung sein, ein weiblicher Penis ist ein normales weibliches Körperteil und Frauen stellen sich ja auch nicht an, wenn etwa eine Frau einen BH auszieht. Das halbe Land muss sich vor diesem Gesetz fürchten?

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Auch er erzeugt in seinem „Aufsatz“ das Bild vom Mann in der Frauendusche und damit werden negative Assoziationen und Emotionen erzeugt. Schmidt verweist dabei auf Udo Vetter.

Plötzlich steht ein Mann in der Frauendusche. Ja. Ein grosses Missverständnis ist, dass Menschen, die per Gesetz ihr Geschlecht ändern wollen, auch in irgendeiner Form angehalten sind, ihr Erscheinungsbild zu ändern. Das wäre aber nicht so. Ich kann mein Leben als Mann normal weiterleben und bin nach aussen der Macker, breitbeinig und mit Vollbart – und zugleich kann ich verlangen, dass ich als Frau behandelt werde und eben auch Zutritt zu solchen Schutzräumen erhalte. Ich habe in dreissig Jahren als Strafverteidiger wirklich alles erlebt. Ich habe grosse Missbrauchsfälle verteidigt, wo Kindern und Jugendlichen unsagbar schlimme Dinge passiert sind. Es gilt der Grundsatz: «Gelegenheit macht Diebe.» Auch deshalb wird die Kritik in den USA lauter über die Okkupation der Schutzräume und die «chilling effects», die sich daraus ergeben. Von «chilling effects» sprechen Juristen, wenn Bürger sich selbst beschränken, um einem möglichen Schaden zuvorzukommen. Das würde hier auch passieren.

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In einem weiteren „Aufsatz“ vom 31.08.2022 mit der Überschrift: „Kommt die Transdebatte bei den Grünen an?“ bezog sich Schmidt auf das Magazin Schwulissimo. [3]

Interessanterweise tun dies auch Terfs und Demo für Alle bedient sich dann wiederum daran. Ich verweise auf diesen Eintrag.

Die rechtskatholische Die Tagespost berichtete am 2.9.2022 unter „Geschlechterdebatte Grüne: Kritiker am Selbstbestimmungsgesetz nicht mundtot machen.“

Über 50 Grünen-Politiker haben mit einem Antrag zu einer Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz aufgefordert. „Die geplante Veränderung (…) ist so fundamental, dass sie Auswirkungen auf andere, nicht transsexuelle Erwachsene und insbesondere auf Kinder und Jugendliche hat“, so der Wortlaut des Antrags. Deshalb sollte sie nicht ohne eine breite gesellschaftliche Zustimmung umgesetzt werden. Öffentliche Diffamierung nicht hinnehmbar Die Antragsteller verwiesen zudem auf andere „große Reformen“ wie die Abschaffung des Verbots von Homosexualität, die ,Ehe für alle‘ oder das Sterberecht. Diese seien in Deutschland „mit breiten überparteilichen Mehrheiten durchgesetzt worden“. Diese Akzeptanz brauche auch das geplante Selbstbestimmungsgesetz.

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Dabei bezog sich der Artikel auf die „Aufforderung zur Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz“, das von 70 Antragssteller*innen der Grünen im Rahmen der 48. Bundesdeligiertenkonferenz am 27.08.2022 eingereicht worden war. [5]

Demo für Alle griff diesen Antrag auf und verbreitete die Info im Blog.

Screenshot von Demo für Alle: „Jetzt sogar grüner Gegenwind gegen „Trans-Gesetz“. Dreht sich der Wind? Erstmals erschallt aus den Reiher einer Regierungspartei Kritik am geplanten „Selbstbestimmungsgesetz“. 70 Grünen-Mitglieder haben einen Antrag zum Bundesparteitag eingereicht, in dem sie eine innerparteiliche Debatte über das Gesetz fordern“.

Auch die AfD Landesverband Schleswig-Holstein hat sich das Ziel gesetzt das Selbstbestimmungsgesetz zu verhindern. In ihrer Stellungnahme beziehen sie sich auf die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard. [6]

Nüsslein-Volhard hält das geplante Selbstbestimmungsrecht für „Wahnsinn“, berichtete die EMMA am 22.8.2022 und bediente damit nicht nur Transfeindlichkeit, sondern betrieb gleichzeitig noch Ableismus.

VIELE GESCHLECHTER? DAS IST UNFUG! Warum es nur zwei Geschlechter gibt – wenn auch innerhalb der biologischen Geschlechter eine breite kulturelle und hormonelle Spanne. Und warum der Queer-Beauftragte der Bundesregierung das wissen sollte. Ein Gespräch mit der Biologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard über die Transideologie, ihre naiven Erfüllungsgehilfen und warum sie das geplante Selbstbestimmungs-Gesetz für „Wahnsinn“ hält. - Das Interview auf Französisch. - Das Interview auf Englisch.

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Die Tagesstimme, ein Magazin, das der Identitären Bewegung nahesteht und völkisch-nationalistische Ideologien normalisieren will, [8] berichtete ebenfalls über die Biologin Nüsslein-Volhard und Demo für Alle verbreitete es via Twitter.

Demo für Alle retweetete Die Tagesstimme: „Für die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard ist ganz klar: Es gibt nur zwei Geschlechter. Dem grünen Queer-Beauftragten Sven Lehmann erteilt sie deshalb eine kurze Nachhilfe“. Dann folgt eine Verlinkung direkt zum Zeitungsartikel.

Der Artikel der Tagesstimme, ein Magazin, das der Identitären Bewegung nahesteht, bezog sich dabei auf das EMMA-Interview.

Screenhot vom Artikel in Die Tagesstimme: Queer-Beauftragter hat Grundkurs in Biologie verpasst Für die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard ist ganz klar: Es gibt nur zwei Geschlechter. Diese biologischen Grundlagen seien nicht zu ändern. Alles andere sei „Wunschdenken“, erklärt die Nobelpreisträgerin in einem EMMA-Interview. Darunter ein Foto von Nüsslein-Volhard.

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Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass sich auch Terfs, also radikale Feminist*innen, die trans Personen exkludieren, auf Christiane Nüsslein-Volhard beziehen. Wie hier im Blog einer bekannten Terf, deren Namen nicht erwähnt werden wird, um ihr Geltungsbedürfnis nicht noch mehr zu füttern.

Identitätspolitik überdrüssig sind. Daneben stellen sich auch immer mehr WissenschaftlerInnen gegen eine Ideologie, die einen wissenschaftsfernen Glauben an eine Genderseele international verbreitet. Zuletzt äußerte sich die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard spürbar entnervt im feministischen Magazin EMMA zum Stand der biologischen Forschung zum Thema Geschlecht. Ihr Fazit: In der Biologie gibt es bei Säugetieren nur zwei Geschlechter und der Mensch ist ein Säugetier. Transaktivisten waren sich in der Folge nicht zu schade, selbst einer renommierten Wissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin die Kompetenz in ihrem Fach abzusprechen.

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Auch die Evangelikalen der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD) deren Sprachrohr idea ist, schrieben unter: „Dass Jugendliche ab 14 Jahre künftig ihr Geschlecht selbst bestimmen sollen, nannte die Biologin „Wahnsinn“. (…) „Das biologische Geschlecht lässt sich nicht ändern“. [11]

Screenshot von einem idea-Artikel vom 23.08.2022: „Politik: Nobelpreisträgerin widerspricht Queer-Beauftragtem“.

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Auf die Biologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard bezieht sich auch Patriot Petition und machte sie gewissermaßen zum Gesicht, also zumindest bei Facebook, um für die eigene Petition „Schluss mit der Sexualisierung und Gender-Umerziehung unserer Kinder im Staatsfunk!“ zu werben. [13]

Screenshot eines Posts von PatriotPetition bei Facebook. 24.08.2022. „Biologin und Nobelpreisträgerin stellt klar: Sein Geschlecht zu ändern ist „Wunschdenken“. Dann folgt ein Link zur Bild-Zeitung. „Jetzt Petition für Wissenschaftlichkeit statt Ideologie im Staatsfunk unterzeichnen“. Darunter ein Foto von Nüsslein-Volhard.

Auch die transfeindliche Biologin Marie-Luise Vollbrecht bezieht sich auf die EMMA und Christiane Nüsslein-Volhard und retweete EMMA samt Artikel via Twitter.

Marie-Luise Vollbrecht retweetete EMMA: „Das Geschlecht ist reine Gefühlssache und es viele Geschlechter! Mit dieser Behauptung wollen Transaktivisten und der QueerBeauftragte der Bundesregierung ihr „Selbstbestimmungsgesetz“ durchpeitschen. Wie wäre es mal mit Fakten?2 Dann folgt ein Link zur emma.

Genau wie Demo für Alle.

Demo für Alle retweetete EMMA: „Das Geschlecht ist reine Gefühlssache und es viele Geschlechter! Mit dieser Behauptung wollen Transaktivisten und der QueerBeauftragte der Bundesregierung ihr „Selbstbestimmungsgesetz“ durchpeitschen. Wie wäre es mal mit Fakten?2 Dann folgt ein Link zur emma.

Was lernen „wir“ daraus? Es gibt eine „Anti-Gender-Front“ und Terfs, also radikale Feminist*innen, die trans Personen exkludieren (ausschließen) und auch bekämpfen, spielen eine unrühmliche Rolle in dieser Gemengelage aus christlichen Fundis inkl. Evangelikalen und Rechten/extremen Rechten/Neofaschist*innen.

Die Universitätsprofessorin Birgit Sauer vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien hielt 2019 einen Vortrag über „Anti-Genderismus als männliche Identitätspolitik“. Sie sagte „Es ist bemerkenswert, wie besessen die neue Rechte in Europa vom Thema Geschlecht ist“. [14]

Terfs sind das auch.

Sauer sagte auch „Das Aufgreifen der Kritik an einem sogenannten „Genderismus“ (der Gleichstellungspolitik, der Geschlechterforschung oder auch der Anerkennung sexueller Diversität) dient, so eine erste These, der Unterfütterung der „thin-centered populist ideology“ (Cas Mudde).“

„Birgit Sauer: Anti-Genderismus als männliche Identitätpolitik Auf vielfachen Wunsch zum Nachlesen: Vortrag im Rahmen des Cornelia Goethe Colloquiums vom 05. Juni 2019. Abstract: Es ist bemerkenswert, wie besessen die neue Rechte in Europa vom Thema Geschlecht ist. Das Aufgreifen der Kritik an einem sogenannten „Genderismus“ (der Gleichstellungspolitik, der Geschlechterforschung oder auch der Anerkennung sexueller Diversität) dient, so eine erste These, der Unterfütterung der „thin-centered populist ideology“ (Cas Mudde). Doch diese rechtspopulistische Politisierung von Geschlecht ist darüber hinaus nicht nur funktional für das „Othering“ von Feminist*innen, Gender-Forscher*innen und Migrant*innen, sondern dient auch im Kontext der Transformation von Geschlechterverhältnissen in einstigen familienernährerzentrierten Gesellschaften wie Deutschland oder Österreich männlicher Selbstaffirmation und ist daher auch anschließbar an sogenannte liberale Milieus. „Anti-Genderismus“ möchte ich im Vortrag, so die zweite These, als „männliche Identitätspolitik“ beschreiben, als den Versuch also, durch ausgrenzende Mobilisierungsmuster wie auch durch die Beschwörung einer „Krise der Männlichkeit“ eine maskulinistisch-exklusive Vorstellung des Demos zu entwerfen.“

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Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena veröffentlichte eine Publikation von Vincent Streichmann mit dem Titel „Beim gegenwärtigen Anti-Genderismus handelt es sich um die modernisierte Form eines tradierten Antifeminismus“.