Über die Toleranz

Karl Popper schrieb 1945 in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Hätten die demokratischen Parteien, NGOs und Einzelpersonen in den USA Karl Popper beim Wort genommen, hätten sie die Warnung des Southern Poverty Law Centers (SPLC) „vor der größten Bedrohung für die amerikanische Demokratie, von der Sie noch nie gehört haben“ ernstgenommen, dann hätten sie verstanden, dass eine neue Form der christlichen Vorherrschaft das Land erfasst hat.

Christliche Dominanz

Gewarnt wurde vor NAR (Neue Apostolische Reformation), weil diese eine Form des christlichen Dominionismus vertrete, „was bedeutet, dass ihre Gemeindemitglieder glauben, es sei ihre göttliche Pflicht, die Kontrolle über alle politischen und kulturellen Institutionen in Amerika zu übernehmen und sie gemäß einer fundamentalistischen Interpretation der Heiligen Schrift umzuwandeln.[1]

Desweiteren war zu lesen, die Anhänger*innen glaubten an moderne Apostel und Propheten, der Kraft zu heilen und ihre Kritiker*innen seien im wahrsten Sinne des Wortes vom Teufel kontrolliert, also „Satanic Panic“.

LGBTIQ+, Liberale und andere Menschen werden als „dämonisch“ angesehen. Und weiter: „Der Angriff auf das Kapitol sei größtenteils von der Theologie des Dominionismus der NAR inspiriert“ und „So wenige Menschen haben von der NAR gehört, dass es möglich ist, dass der Dominionismus ohne Widerstand in unseren lokalen Gemeinschaften siegen könnte, ohne jemals ernsthaften Widerstand erfahren zu haben.“ [2]

Dr. Maria Hinsenkamp wählte eine andere Bezeichnung für die neueren Entwicklungen pfingstlich-charismatischer Netzwerke im deutschsprachigen Raum. Sie formulierte für eine mit NAR vergleichbare Bewegung die Bezeichnung „Kingdom-minded Network Christianity“ (KiNC), also Gruppierungen, Kirchengemeinden und Einzelpersonen, die sich vernetzt haben um das Königreich Gottes auf Erden zu errichten, also einen christlichen Gottesstaat. [3]

Über das Netzwerk und die Ideologie der EAD

Hier findet auch die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) oder Evangelische Allianz in Deutschland (EAD) ihren Platz. [4]

Die EAD existiert weltweit als Weltweite Evangelische Allianz (WEA) und versteht sich als ein weltweites Netzwerk. Die WEA, die „die gesamte Welt bis 2033 für Jesus Christus“ gewinnen will, [i5] ist in 135 Ländern auf allen Kontinenten vertreten mit schätzungsweise 600 Millionen Anhänger*innen. [6]

Deutschlandweit ist die EAD ein überdimensionales Netzwerk mit ca. 900 Ortsallianzen als regionale Netzwerke. [7] Die Evangelische Allianz in Deutschland (EAD) ist deutschlandweit ein Netzwerk mit 15 Arbeitskreisen, Initiativen, Runden Tischen, Werken und Verbänden. [8] Veranstaltungen wie die Allianzgebetswoche und weitere Gebetstage sowie regelmäßige Festivals und Events wie z.B. der Kongress christlicher Führungskräfte (KcF) gehören dazu.

Sie alle vereint die gemeinsame Basis des Glaubens zu der auch Homosexuellen- und Queerfeindlichkeit gehört, sowie die Ablehnung der Ehe für Alle, Kreationismus und z.B. eine autoritäre Sicht auf die Welt und auf die zwei Geschlechter, die es laut strenger Bibelauslegung gibt. Sie alle vereint die Ablehnung von Transgeschlechtlichkeit und die wortwörliche Auslegung der Bibel.

2017 schrieb die EAD in ihrer Stellungnahme über Homosexualität und Ehe: „Die in der Bibel beschriebene homosexuelle Praxis ist mit dem Willen Gottes und damit dem biblischen Ethos unvereinbar (3. Mose 18, 22; 20, 13; Römer 1, 24 – 27; 1. Korinther 6, 9; 1. Timotheus 1, 10)[9] und weiter: „Daraus ziehen wir die Schlussfolgerung, dass homosexuelle Partnerschaften der Ehe nicht gleichgestellt werden können“.

Das binäre Denken, also der Ausschluss von nonbinären oder genderfluiden Geschlechtern, wird abgeleitet aus 1Mose 1, 26.27: „Menschen sind nach biblischem Zeugnis im Bild Gottes als Mann und Frau geschaffen“. [10]

Das Verbot von Konversionsbehandlungen von Homosexuellen kommentierte die EAD u.a. folgendermaßen: „Wir sehen durch das Gesetz die Freiheit der Religionsausübung gefährdet. So kann durch das „Verbot von Werbung“ auch die Verkündigung in den Gemeinden betroffen sein. Auch ist zu befürchten, dass die Gemeinden künftig nicht mehr im vollen Umfang für die ethischen Maßstäbe ihrer Religion eintreten dürfen.“ [11]

Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, genau wie Toleranz. Doch sowohl Freiheit als auch Toleranz enden dann wenn Menschen diskriminiert, ausgeschlossen, mißachtet oder sogar gequält werden, wenn deren Freiheit und Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt oder nicht zugelassen wird.

Was Aussteiger*innen zu sagen haben

Aussteiger*innen aus Freikirchen und damit evangelikalen Gemeinden berichten regelmäßig wie hoch der Druck ist, der auf den Gemeindemitgliedern lastet.

Zitat: „Der ganze Alltag, dein ganzes Menschsein ist dem Glauben gewidmet. Ein Druck wird aufgebaut durch einen Gott, der permanent da ist und einen beobachtet. Es ging immer um alles richtig und alles falsch in meinem Leben, um die Angriffe des Teufels und um Gottgefälligkeit.“ [12]

2019 berichtete ein Aussteiger, wie er mit Konversionstherapie versucht hat seine Homosexualität zu beenden und wie er daran fast zerbrochen ist. „Living Waters“ hieß das Konzept aus den Vereinigten Staaten, das vom Verein Wuestenstrom adaptiert wurde. [13]

Sogar eine Dämonenaustreibung von einem Arzt mit Praxis in Hamburg ließ der junge Mann über sich ergehen. Doch seine Sexualität änderte sich nicht. So litt er schließlich unter Depressionen mit suizidalen Gedanken.

Eine andere Aussteigerin berichtete als Mitglied einer Freikirche nicht über ihr eigenens Leben bestimme zu dürfen, der Glaube habe ihr die Freiheit geraubt und sie berichtete von traumatischen Erfahrungen, die zum Auslöser ihres Ausstiegs wurden. [14]

2023 erschien ein weiterer Bericht in der Frankfurter Rundschau über eine junge Frau, die in einer Freikirche aufgewachsen war, diese aber verlassen und eine Selbsthilfegruppe gegründet hat. Mit den Worten: „Es war die reinste Gedankenkontrolle“ wird sie zitiert. [15]

Das Einfallstor

Denn Queerfeindlichkeit, Misogynie und ein autoritäres Denken sind die Gemeinsamkeiten mit Rechten und Neofaschist*innen. Sie sind das Einfallstor für die Wahl von rechten und extrem rechten Parteien.

Im Februar 2025 berichtete Philipp Greifenstein in Die Eule unter Christ*innen habe die AfD bei der Bundestagswahl stark abgeschnitten. [16] Differenziert wurde in konfessionslos, evangelisch und katholisch. Doch wie sieht es bei Freikirchen, wie z.B. der EAD aus?

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2016 lag der Anteil freikirchlicher Wähler*innen der AfD bei fast 17 Prozent, während bei Katholik*innen der Anteil 12,5 Prozent betrug. [17]

In diesem Zusammenhang soll daran erinnert werden, dass der Verfassungsschutz Baden-Württemberg überwacht mittlerweile zwei Freikirchen: die Pforzheimer Gemeinde Zuverlässiges Wort“ und die „Evangelische Freikirche Riedlingen“. [18]

Die Botschaften der Prediger in diesen Freikirchen sind unerträglich und menschenverachtend. „Der im US-amerikanischen Arizona lebende Prediger Anselm Urban, dessen Predigten in die Gemeinde [Zuverlässiges Wort] übertragen werden, habe vor einem Jahr geäußert, der Staat solle homosexuelle Menschen vernichten.“ [19]

Die Hetze des Predigers Jakob Tscharntke [Evangelische Freikirche Riedlingen] wurde in der Zwischenzeit von der AfD-Hessen 2015 via Facebook weiterverbreitet. [20]

Außerdem war Tscharntke mittlerweile mindestens zweimal Referent für die AfD (2015 und 2017) und er publizierte auch einen Beitrag für das AfD-nahe Magazin Polifakt (Nr. 4, 2016). [21]

Jakob Tscharntke ist bei Rechten und extremen Rechten höchst beliebt. Selbst der bekannte Neonazi Meinolf Schönborn fühlte sich auf Twitter – mittlerweile X – veranlasst am 22.11.2019 auf Tscharntkes Video mit dem Zusatz: „Pastor Tscharntke über die bevorstehende Katastrophe in Europa“ zu verweisen. [22]

Aber wenn Sie denken, das seien Ausnahmefälle irren Sie sich. Denn mittlerweile berichtete das Sprachrohr der EAD idea (Informationsdienst der evangelischen Allianz) über die Nazi-Buchmesse Seitenwechsel organisiert von Susanne Dagen, die u.a. enge Kontakte zu Ellen Kositza und Götz Kubitschek unterhält, unter dem Narrativ „konservative“ Verlage. [23]

Deshalb sagen wir NEIN zur Toleranz für christliche Fundis und Evangelikale!

NEIN zur Toleranz von Menschenverachtung und Hass!

NEIN zur Toleranz von rechter und extrem rechter Ideologie!

Quellenangaben:

[1] https://archive.is/ghCPU

[2] a.a.O.

[3] Maria Hinsenkamp „Visionen eines neuen Christentums – Neuere Entwicklungen pfingstlich-charismatischer Netzwerke“, Transcript-Verlag, Bielefeld, 2024

[4] a.a.O., S. 283

[5] https://www.idea.de/artikel/die-gesamte-welt-bis-2033-fuer-jesus-christus-gewinnen

[6] https://www.ead.de/netzwerk-und-struktur/

[7] https://www.ead.de/werke-und-verbaende/

[8] https://www.ead.de/netzwerk-und-struktur/

[9] https://www.ead.de/fileadmin/user_upload/Ehe_als_gute_Stiftung_Gottes.pdf

[10] a.a.O.

[11] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Stellungnahmen_WP19/Konversionsbehandlungen/Stn_EAD_22.11.19.pdf

[12] https://www.aargauerzeitung.ch/leben/freikirchen-aussteiger-es-muss-publik-gemacht-werden-wie-da-druck-aufgebaut-wird-ld.1497024

[13] https://archive.is/LwOUG

[14] https://fundamental-frei.org/traumatische-erfahrungen-in-einer-freikirche-nachtrag-von-viola-zur-reportage-ueber-evangelikale-aussteigerinnen/

[15] https://www.fr.de/rhein-main/darmstadt/in-einer-freikirche-aufgewachsen-wenn-der-glaube-angst-macht-92199279.html

[16] https://eulemagazin.de/christen-kirchen-bundestagswahl-afd-cdu-spd-verdoppelt-ekd-katholisch/

[17] https://www.pro-medienmagazin.de/umfrage-im-vergleich-waehlen-mehr-frei-als-landeskirchler-afd/

[18] https://www.evangelisch.de/inhalte/230795/13-06-2024/kirchenbund-distanziert-sich-verfassungsschutz-ueberwacht-zwei-freikirchen

[19] https://www.queer.de/detail.php?article_id=51717

[20] https://de-de.facebook.com/222005461272345/photos/pfarrer-jacob-tscharntke-redet-klartextpredigt-vom-11102015-psalm-604-wie-gehen-/626332974172923/

[21] https://bkramer.noblogs.org/jakob-tscharntke/

[22] https://x.com/m_schonborn/status/1197860833763766272

[23] https://www.idea.de/artikel/demofueralle-sehr-grosses-interesse-an-doku-tatort-kita