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Nachricht 1
Und während die Erschreckten mit Entsetzen in die USA schauen und beobachten können, welche Entwicklungen die Abschaffung von Roe v. Wade zur Folge haben und noch haben werden, gab es in Deutschland zwei Mitteilungen, die hellhörig hätten machen sollen.
Hätten. Sollten. Müssten.
Die eine Nachricht war die, dass ein „ehemaliger Spitzen-Politiker (…) Professor in Gießen wird“. Es ging um Volker Kauder, der zum Honorarprofessor an der Freie Theologische Hochschule (FTH) Gießen ernannt worden war.
Erwähnt wurden Prof. Stephan Holthaus und der Termin der Antrittsvorlesung am 2.11.2022 um 10 Uhr an der FTH Gießen samt Verlinkung dorthin. Das war alles was in der Gießener Allgemeine Zeitung (GAZ) zu lesen war. [1]
Eine Einordnung fand nicht statt. Das soll hier nachgeholt werden, denn die FTH Gießen gehört zum Netzwerk der Evangelische Allianz Deutschland (EAD) und ist darum eine evangelikale Einrichtung mit Professoren wie z.B. Harald Seubert, einem christlichen rechten christlichen Fundi, der zum klerikalfaschistischen Renovatio-Institut gehört und sich dem rechten und rassistischen Netzwerk Wissenschaftsfreiheit angeschlossen hat.
Zu den Professor*innen der FTH Gießen gehört auch der queerfeindliche Gießener Theologieprofessor Christoph Raedel, der ursprünglich als Gutachter im Latzel-Prozess vorgesehen war.
Raedel, der für „Homo-Heilung“ wirbt, sollte als „Experte“ „Aufschluss darüber geben, ob die Äußerungen von Latzel von der Bibel gedeckt seien“. https://www.queer.de/detail.php?article_id=41923
Es waren menschenverachtende hetzende Ausbrüche, die Latzel von sich gegeben hatte. Raedel sollte ihn dabei unterstützen, doch seine Rolle wurde neu besetzt und zwar mit Ludger Schwienhorst-Schönberger, gleichfalls vom rechten und rassistischen Netzwerk Wissenschaftsfreiheit.
https://www.queer.de/detail.php?article_id=41989
Der nächste Professor an der FTH Gießen ist Prof. Stephan Holthaus. Er ist ein überzeugter Abtreibungsgegner und war Unterstützter oder Botschafter der europäischen Bürgerinitiative Einer von Uns, die mit dem europaweiten antifeministischen und LGBTQI-feindlichen Network Agenda Europe verbunden war.
Agenda Europe will verkürzt zusammengefasst Abtreibungen , die Antibabypille und Scheidungen verbieten, darüber hinaus will das Netzwerk einen sog. Sodomie-Paragraphen einführen, der Homosexualität kriminalisiert.
Holthaus ist Direkter des Instituts für Ethik & Werte mit Sitz im mittelhessischen Gießen. Das Institut gehört mittlerweile zu den Mitgliedern des Bundesverband Lebensrecht (BVL).
Über die Freie Theologische Hochschule Gießen gäbe es viel mehr zu sagen. Ein oberflächlicher Eindruck vermittelt dieser Eintrag im Blog
Wenn ich dem Sprachrohr der EAD idea Glauben schenke, dann hat eine in 2021 stattgefundene Umfrage ergeben „Weiter Zulauf für evangelikale Ausbildungsstätten.“ [2]
Nachricht 2
Die zweite Nachricht war die, dass die Evangelische Allianz Deutschland (EAD) eine neue Leitungsstruktur erhält. Die „Marke Evangelische Allianz“ soll gefestigt und langfristige Positionierungen festgelegt werden. „Um die Evangelische Allianz auch breit in Politik, Kirche und Gesellschaft zu repräsentieren und zu vernetzen (…),“ berichtete idea am 22.09.2022. [3]
Noch mehr Einfluss und Repräsentation will die EAD in Politik, Kirche und Gesellschaft erreichen. Dabei hat die EAD bereits einen Beauftragten der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) im Deutschen Bundestag.
Auf Wolfgang Baake folgte 2016 Uwe Heimowski von Gemeinsam Gegen Menschenhandel. Laut EAD ist er langjähriges Mitglied im Jugendarbeitskreis und des Konferenzausschuss der Bad Blankenburger Allianzkonferenz. [5]
Er ist also gut vernetzt und war Mitarbeiter des Ex-CDU-Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, dem Vorstandsvorsitzenden von Gemeinsam Gegen Menschenhandel.
Auf der Allianzkonferenz 2022 ermutigte der Referent Steffen Beck „junge Christen, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen und sich politisch zu engagieren“. Steffen Beck ist leitender Pastor und Gründer der Freikirche ICF Karlsruhe.
Wie er sich die Verantwortung und das politische Engagement vorstellt, hört sich so an: „Wer mehr Einfluss hat, kann mehr Wirkung entfalten für Gott“. Er sagte zusätzlich noch wenn das Handeln christliche Werte verletze, etwa im Beruf, sollten sich Christen dem verweigern, dabei jedoch Standfestigkeit und Anpassungsfähigkeit nicht verwechseln. [6]
Es geht also um gesellschaftlichen und politischen Einfluss und es geht um Missionierung. Denn die Bekenntnis und Glaubensgrundlagen des ICF Karlsruhe basieren auf dem apostolischen Glaubensbekenntnis und der Basis der Evangelischen Allianz,
die die Bibel zur höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung gemacht hat, die nur die Zweigeschlechtlichkeit der Geschlechter kennt, LGBTIQ-feindlich, antifeministisch ist und Anti-Genderismus betreibt, in deren Reihen der Kreationismus erblüht und ein autoritärer Charakter unabdingbar ist.
Überlegungen
2 Nachrichten, die hätten hellhörig machen müssen.
Hätten! Sollten! Müssten!
Taten sie nur nicht. Sie gingen unter, denn für sich genommen und ohne Einordnung erschienen sie harmlos. Sind sie aber nicht.
Denn im größeren Kontext betrachtet, hat die FTH Gießen, eine evangelikale Einrichtung, ein prominentes Gesicht gewonnen und wird dadurch geadelt oder aufgewertet. Denn immerhin ist Volker Kauder kein Unbekannter, sondern in gewisser Weise prominent.
Eine Hochschule wird aufgewertet an der Professor*innen unterrichten, die antifeministisch, LGBTIQ-feindlich sind mit Verbindungen ins klerikalfaschistische Spektrum, deren Professor*innen wie z.B. Raedel sich schon 2013 gegen die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften ausgesprochen hat.
Eine evangelikale Hochschule wird aufgewertet und prominenter, während die EAD sich neu aufstellt, um mehr Einfluss nehmen zu können.
Die Abschaffung von Roe v. Wade in den USA beschrieb idea, das Sprachrohr der EAD, als „überfällige Korrektur“. [7] Mit Freude konnte idea am 1.8.2022 „Ein Monat nach „Roe v. Wade“: 43 Abtreibungskliniken stellen Arbeit ein“ berichten, denn in der Vergangenheit, konkret 2017, startete idea eine Petition gegen „massenhafte Abtreibungen“. [8]
IdeaSchweiz konnte mit Stolz verkünden „Petition gegen massenhafte Abtreibungen stößt auf großes Interesse“:
„Innerhalb von zwei Tagen unterschrieben fast 3.000 Personen, darunter Ärzte, Unternehmer und Pastoren. Mit der Petition werden die Abgeordneten des Bundestages aufgefordert, dafür zu sorgen, dass das Leben ungeborener Kinder umfassend geschützt wird.“ [9]
Deshalb gehört die Deutsche Evangelische Allianz, die identisch mit der EAD ist, zu den ideellen Unterstützer*innen des Marsch für das Leben. [10] Zusätzlich sind 4 Organisationen, die zum Netzwerk der Evangelischen Allianz gehören, Mitglieder im Bundesverband Lebensrecht (BVL). [11]
Die EAD will mehr Einfluss nehmen und das auf allen Ebenen. Wie das ausgehen kann, können Sie in den USA sehen oder in Brasilien oder in Polen oder in Ungarn. Denn sobald Sie Evangelikale oder christliche Fundis/Katholitäre Einfluss nehmen lassen,
werden die Rechte von ganzen Bevölkerungsgruppen zunichte gemacht. Es beginnt mit den fehlenden Rechten für ungewollt Schwangere und für queere Menschen und endet im schlimmsten Fall wie in den USA.
https://www.republik.ch/2022/09/21/sie-kaempfen-fuer-einen-gottesstaat-usa
„Diese Kriegsführung wird auf verschiedenen Ebenen betrieben – von der persönlichen bis zur institutionellen. Denn nach dieser Vorstellung können nicht nur Menschen von Dämonen besessen sein, sondern auch Gebäude und Institutionen. Vor diesem Hintergrund sind die bereits erwähnten «Jericho Marches» zu verstehen – und die Zerstörung, die die Eindringlinge im Kapitol anrichteten. Denn das Kapitol war ihrer Ansicht nach längst entweiht worden und von dämonischen Kräften besetzt. Aber auch die LGBTQIA+-Community, Abtreibungskliniken und die Demokratische Partei werden als von Dämonen besessen angesehen“,
schrieben Annika Brockschmidt, Thomas Lecaque und Mark Peterson am 21.09.2022.
Tatsächlich veröffentlichte idea einen Artikel mit der Überschrift: „Die Bibel steht über der Verfassung“ [12] und bezog sich dabei positiv auf den „Gotteskrieger im Tweetjacket“ Martin Mosebach.
Wer genauer hinschaute, also in die Tiefe, konnte bereits 2005 beobachten wie Evangelikale ein geplantes Antidiskriminierungsgesetz fürchteten. Es stelle „einen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften dar“. [13]
„Im Zweifel Gott mehr als dem Gesetz gehorchen“ [14] ist auf der Webseite der EAD zu lesen und weiter:
„Zimmermanns empfiehlt Kirchen, Gemeinden und einzelnen Christen, die mit dem zukünftigen ADG aus Glaubens- und Gewissensgründen in Konflikt geraten, Schadensersatzleistungen zu verweigern. Sie sollten den Rechtsweg beschreiten und eine Niederlage riskieren. Es gelte der Grundsatz: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29). Nach Ansicht des Vorsitzenden des AKREF, Pfarrer Paul Murdoch (Großsachsenheim bei Stuttgart), bestätigt das Gutachten die Bedenken, die die Europäische Evangelische Allianz schon gegen die Vorlage der EU vorbrachte.“
Wenn Sie in einer solchen Welt leben wollen, dann ignorieren sie weiterhin Katholitäre, christliche Fundis und Evangelikale weiter. Ich tue es jedenfalls nicht. #FundisZurHölleJagen